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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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zurückgerufen. Sie war heute Nachmittag schon wieder am Telefon. Sie macht sich Sorgen wegen der Geburtstagsfeier von deinen Großeltern.«
    »Soll die ausfallen?«, fragte ich hoffnungsvoll.
    »Nein, der Alleinunterhalter ist krank geworden. Jetzt will deine Oma James Last, und wenn der nicht kann, Ernst Mosch. Sie macht jedenfalls den totalen Aufstand, meint deine Mutter. Dein Opa hat Gürtelrose davon gekriegt und weigert sich, bei der Feier mitzumachen.«
    »Und was habe ich damit zu tun?«
    »Keine Ahnung.«
    »Vielleicht sollte ich mal zu Hause anrufen«, meinte ich lustlos.
    Solveig schüttelte den Kopf. »Luzie, es hat keinen Zweck, irgendwann musst du ja doch wieder richtig raus. Du kannst es nicht länger aufschieben, glaub mir. Und wer würde sich besser für deinen ersten Ausflug als Vampir eignen als deine Eltern?«
    Ich musste ihr recht geben. »Vielleicht mache ich es. Hinfahren, meine ich.«
    »Tu es auf jeden Fall. Und zu der Geburtstagsfeier im Altenheim gehst du auch. Vor nächste Woche Freitag musst du unbedingt noch ein paarmal raus. Damit du bis dahin total angstfrei bist.«
    Angstfrei. Das klang gut. Sehr gut sogar. Gedankenverloren schob ich eines der losen Brackets auf dem Draht hin und her. Die Apparatur tat längst nicht mehr weh, war aber auch alles andere als angenehm. Inzwischen war mir klar, dass ich das Gestänge möglichst unauffällig wieder loswerden musste, denn wer hatte je von einem Vampir gehört, der sich den Kiefer regulieren ließ? Es scheiterte schon an den Praxiszeiten. Wenn es mit einer einmaligen Behandlung getan gewesen wäre oder wenn sich alles innerhalb eines Winters abspielen könnte, hätte es vielleicht funktioniert, doch es war vorgesehen, dass ich alle vier bis sechs Wochen in die Praxis kam, um die Drähte nachziehen zu lassen. Da es nur zu bald Frühling und danach Sommer werden würde, konnte ich dieses Vorhaben genauso gut gleich vergessen. Für mich stellte sich nur noch die Frage, wie ich die Klammer von meinen Zähnen bekam. Den zweiten Aufbau hatte ich mit einem heftigen Ruck ebenfalls weggerissen, ebenso zwei weitere Brackets im Unterkiefer, doch die übrigen Metallplättchen erwiesen sich als überraschend hartnäckig und klebten bombenfest am Schmelz. So, wie es aussah, konnte ich nicht alle ohne fremde Hilfe loswerden.
    Momentan hatte ich reichlich an etwa zehn herumrutschenden Halteteilen und einem bereits ziemlich lockeren Drahtbogen zu kauen. Es war, als lutschte ich permanent auf den Überresten eines Saiteninstruments herum.
    »Ich muss zum Kieferorthopäden«, sagte ich.
    »Wann?«
    »Nicht zu dem Termin, den ich bekommen habe. Der ist morgens um elf.«
    »Oh, Shit. Was willst du jetzt machen?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht fällt ja doch noch alles von alleine raus.«
    Doch das sollte nicht geschehen, und wenn ich geahnt hätte, welches Ungemach mir meine lockere Zahnspange noch bescheren sollte, hätte ich vielleicht sogar mit Kneifzange und Schraubenzieher selbst mein Glück versucht.
    *
    Noch am selben Abend fasste ich mir ein Herz und fuhr zu meinen Eltern. Mein an vielen Stellen rostender Kleinwagen tat mir den Gefallen und sprang sofort an. Es war seit Wochen das erste Mal, dass ich wieder Auto fuhr. Ich konnte es natürlich noch, doch das war nicht der Punkt. Es war eine Premiere – ich fuhr zum ersten Mal als Vampir!
    Meine Eltern wohnen in U., einem der eher dörflichen Vororte von Frankfurt. Ihr kleines, gelb gestrichenes Reihenhaus sah genauso aus wie in meiner Kindheit, nur dass es mir damals geradezu riesig vorgekommen war. Seitdem war es schäbiger geworden, der Putz hatte hie und da Sprünge bekommen, die Dachpfannen waren von Moos überwuchert und vom Zahn der Zeit angenagt, der Jägerzaun verwittert, die Sandsteinplatten des Gehwegs von zahllosen Regengüssen ausgewaschen.
    Doch es war immer noch das Haus meiner Kindheit, mein eigentliches Zuhause.
    Das empfand ich schmerzlicher als je zuvor, während ich im Schatten der Dunkelheit durch den Vorgarten zur Haustür ging. Nie wieder würde ich unser Haus im Sonnenschein sehen! Ich unterdrückte ein Schluchzen.
    Die Tür wurde aufgerissen, bevor ich klingeln konnte.
    Meine Mutter stand vor mir, im orangefarbigen Kaftan, darüber ein wallender roter Wollmantel, der aussah wie selbst gewebt. »Hi, Schatz. Ich bin auf dem Sprung, aber Papa ist da. Geh rein.« Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und lief rasch zu ihrem Wagen, um nicht zu spät zu einer ihrer zahlreichen

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