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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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öko-spiritistischen Sitzungen zu kommen. Ich blickte ihr sprachlos hinterher.
    Papa saß im Wohnzimmer und schaute Fußball. »Heute ist Pokalspiel«, begrüßte er mich. »In der Küche ist Bier.«
    Ich holte mir ein Glas Wasser und setzte mich zu ihm.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er in der Werbepause.
    »Ja, alles bestens.«
    »Mama ist zu einem Phrenologiekurs. Das ist Schädelkunde. Sag mir deine Kopfform, und ich sag dir, was du für einen Charakter hast, lauter solches Zeug. Sie fummelt allen Leuten am Kopf rum, seit sie das angefangen hat. Bei mir hat sie hinten über dem Nacken einen Höcker entdeckt und behauptet jetzt, ich litte an abartigen sexuellen Phantasien. Kannst du dir das vorstellen?«
    »Nein.«
    Es war zum Totlachen. Meine Mutter war wissenschaftlich gebildet. Sie hatte Soziologie studiert. Soziologie und Phrenologie hatten nicht gerade viel gemeinsam, sah man von den Endsilben einmal ab.
    »Kommst du zu der Feier von Oma und Opa?«
    »Ich denke schon.«
    »Schön.«
    Mein Vater verfolgte aufmerksam eine Autowerbung, dann meinte er: »Habe ich dir schon erzählt, dass ich jetzt mit dem Taxifahren aufhöre?«
    »Ja, und ich finde das gut. Jeder muss mal in Rente.«
    »Wir wollen nach Mallorca.«
    »Wer?«, fragte ich verblüfft.
    »Deine Mutter und ich. Wir haben schon einen Käufer für das Haus.«
    Ich verschluckte mich an meinem Wasser. »Für das Haus?«
    »Wir verkaufen es. Was sollen wir mit dem großen Kasten für uns alleine?«
    Ja, was? Verkaufen ist völlig okay, sagte ich mir tapfer. Ich wohnte ja nicht mehr hier. Schon lange nicht mehr. Ich war seit Jahren erwachsen und aus dem Haus. Kein Grund also, den alten Kasten als Schrein der Erinnerungen hochzuhalten. Weg damit. Und tschüss.
    »Ist was?«, fragte Papa.
    »Nein, alles bestens. Mallorca ist toll.«
    »Ja, es ist praktisch deutsch. Nur schöneres Wetter. Trinkst du kein Bier?«
    Ich hatte sonst immer Wert darauf gelegt, ein Bier mit ihm zu trinken, wenn ich zu Besuch kam.
    »Nein, heute nicht. Ich hab’s mit dem Magen.«
    »Du bist blass.«
    »Ich weiß. Ich hab’s mit dem Magen«, wiederholte ich.
    »Nein, nicht auf die Art. Ich meine, du bist … du bist sehr hübsch. Du bist wirklich eine richtige Schönheit, Luzie.«
    »Danke, Papa.«
    »Du warst schon immer schön. Als du auf die Welt kamst, da dachte ich, mein Gott, gibt es das, so ein wunderschönes kleines Mädchen. Du warst perfekt. Zehn Finger, zehn Zehen, alles dran. Ich habe genau gezählt. Mindestens fünf Mal.«
    Was für ein Glück. Sonst säße ich heute womöglich ohne die korrekte Anzahl von Extremitäten da.
    »Was habt ihr auf Mallorca vor? Einfach abhängen?«
    »Mal sehen. Ich bin gerade dabei, mich nach den Möglichkeiten für einen Taxischein da unten zu erkundigen.«
    Auch dazu verkniff ich mir eine Bemerkung. Papa würde also weiter Taxi fahren. Mama würde vermutlich einen Hexenzirkel gründen oder einem beitreten, falls schon vorhanden, je nachdem. Die zwei würden eine winzige Finca in den Bergen bewohnen und dort häufig nackt herumlaufen. Papa würde am Wochenende im Satellitenfernsehen deutsche Sportschau gucken, Mama würde Wolle spinnen, und zusammen würden sie frei laufende Hühner füttern und mallorquinischen Wein trinken. Sie würden miteinander auf ihrer Terrasse sitzen und den Sonnenuntergang bewundern, ein Schauspiel, das ich für den Rest meines Lebens nie mehr würde genießen können. Und zu Weihnachten würde es Gänsebraten und Rotkohl und als Vorspeise einen Joint geben.
    In meinem Hals steckte ein Kloß. Nie mehr Gänsebraten und Rotkohl und Dope zu Weihnachten. Nie mehr Bier mit Papa. Nie mehr nach Hause kommen.
    Ich stand auf. »Ich muss jetzt gehen.«
    »Wiedersehen, mein Schatz.«
    »Wiedersehen, Papa.«

13. Kapitel
    S olveig war nicht in der Wohnung, als ich zurückkam. Ich erkannte, dass zwischenmenschliche Kontakte den Nachteil hatten, zwangsläufig weitere zwischenmenschliche Kontakte nach sich zu ziehen, denn ich brauchte jetzt unbedingt jemanden, mit dem ich meinen Durchhänger aufarbeiten konnte, und da mir niemand sonst einfiel, rief ich meinen Bruder an, mit dem erstbesten Vorwand, der mir in den Sinn kam.
    »Kommst du zu der Feier?«
    »Das habe ich dich neulich auch schon mal gefragt.«
    »Ich wollte auf jeden Fall kommen.«
    »Ich eigentlich auch«, meinte er. Und dann: »Alles okay mit dir? Du hörst dich an, als hättest du einen Moralischen.«
    »Ach, es ist eigentlich nicht so schlimm.«
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