Beiss mich - Roman
unverzeihlicher Fehler, aber ich habe ihn begangen. Es lässt sich nicht mehr rückgängig machen, doch ich kann dich daran hindern, dass du irgendwann denselben Fehler begehst.«
Ich wollte ihn darauf aufmerksam machen, dass ich selbst an diesem »Fehler« genauso beteiligt gewesen war, doch er schnitt mir das Wort ab.
»Deine Verwandlung hat bereits den Tod eines Menschen nach sich gezogen. Sieh zu, dass es nicht noch mehr werden.«
»Es war Notwehr!«
»Sicher war es das. Aber er ist tot, oder?«
Ich ließ den Kopf hängen. Er hatte recht. Ich hatte ein Menschenleben auf dem Gewissen. Schnabelnase hatte eine Mutter und einen Vater gehabt. Vielleicht gab es sogar Kinder, die jetzt um ihn trauerten!
Tränen traten mir in die Augen, und ich presste meine Faust so hart an den Mund, dass die scharfen kleinen Brackets meine Unterlippe zerschnitten und Blut hervortrat.
»Versteh mich nicht falsch, Lucia. Nicht du trägst die Hauptschuld an seinem Tod, sondern ich.«
Ich blickte auf. Da er mich um Haupteslänge überragte, musste ich den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen sehen zu können. Jetzt begriff ich erst, worauf er hinauswollte. »Du meinst, weil du mich … verwandelt hast? Ist das so eine Art Todsünde für Vampire?«
Er nickte. »Das ist es, was ich dir begreiflich machen will. Dieses Verlangen ist weit schlimmer als das, für Blut zu töten, denn es kommt aus unserer menschlichen Natur. Das ist die eigentliche Tragik unserer Existenz. Nicht so sehr die beständige Flucht, die Geheimhaltung, die Angst vor der Sonne, die Blutgier. Es ist diese entsetzliche Einsamkeit, zu der uns das Schicksal verdammt hat, und die Versuchung, sie zu durchbrechen, indem wir uns zum Schöpfer aufwerfen. Du darfst dieser Versuchung niemals erliegen, denn wenn du es tust, wirst du die Folgen auf dich nehmen müssen und daran zugrunde gehen.«
»Aber bei mir konntest du doch gar nichts dafür«, wandte ich ein. »Ich wollte es doch so! Es war allein meine Entscheidung!«
Er beugte sich zu mir herunter und küsste mir vorsichtig das Blut von der Lippe. »Da siehst du es«, sagte er lächelnd. »Ein klassischer Fall. Du bist meine Sirene. Ich konnte dir von Anfang an nicht widerstehen. Ich habe mich entblößt, mich vergessen und alle Vorsicht in den Wind geschlagen.« Er nahm meine Hand und legte sie auf seine Brust, dort, wo warm und fest das Herz schlug.
»Hier drin war er verborgen, der verzweifelte Wunsch, dich auf diese unselige Art zu der Meinen zu machen. Ich habe es zugelassen, obwohl ich es besser hätte wissen müssen. Dass es dann tatsächlich geschehen ist, war nur die logische Konsequenz meines armseligen Unvermögens, die Finger von dir zu lassen.«
Atemlos lauschte ich seinen Worten, seiner chevaleresken, längst aus der Mode gekommenen Ausdrucksweise, die in so krassem Gegensatz zu seinem knabenhaften Lächeln stand.
Ich dachte über den Inhalt dessen nach, das er mir da in seiner süßen, altertümlichen Art mitgeteilt hatte. War das eben etwa so eine Art Antrag gewesen? Es konnte nicht schaden, wenn ich mich vergewisserte.
»Soll das heißen, dass wir jetzt ein Paar sind oder so?«
»Nein, meine liebe Lucia. Das soll heißen, dass du sterben wirst, wenn du meine Warnung missachtest.«
Er lächelte nicht mehr, als er zurücktrat, mich höflich vom Kühlschrank wegschob, die Tür aufmachte und einen der Beutel hervorholte. Sprachlos schaute ich ihm zu, wie er den Verschluss aufriss und ein paar Schlucke direkt aus dem Beutel nahm, bevor er das Ding wieder zurück ins Fach legte und die Tür schloss.
Endlich fand ich meine Stimme wieder. »Sollte das so eine Art Drohung sein?«
Er leckte sich über die Lippen. »Das hast du hervorragend erfasst.«
Ein fließendes Gleiten, ein rasches Zucken, und wieder hatte er die Gesetze der Physik außer Kraft gesetzt und sich selbst unsichtbar gemacht. Ich horchte, und zwei Sekunden später hörte ich aus dem Wohnzimmer das Klicken des Laptops. Wütend stürmte ich ihm hinterher.
»Glaub ja nicht, dass du mich mit dieser Machomasche fertigmachen kannst! Du kannst mich nicht einfach behandeln wie eine x-beliebige blöde Torte! Ich bin schließlich auch ein Vampir! Gleiches Recht für alle!«
Er tippte unbeeindruckt auf seinem Laptop herum. Im Widerschein des Displays war er so fern und erhaben schön wie ein gefallener Engel.
»Wie machst du das?«, fragte ich zögernd. »Ich meine, dass du so ruck, zuck verschwindest.«
»Das kommt von allein«,
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