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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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meinen Pulli und tastete über die Einstichstelle. Dort, wo mich das Messer durchbohrt hatte, fand ich nur glatte, unversehrte Haut.
    »Keine Narbe«, sagte ich erstaunt.
    »Keine Narbe«, pflichtete er mir bei.
    Da die rustikale Art, mit der er mir das Messer aus dem Körper gerissen hatte, nicht gerade als feinchirurgische Meisterleistung gelten konnte, war dieses erfreuliche Endergebnis seiner Operation wohl meinem veränderten Metabolismus zuzuschreiben.
    »Hast du das auch schon mal gehabt? Ich meine …« Ich suchte nach Worten, denn ich wusste nicht, wie ich es vornehm umschreiben konnte. Dann sagte ich es geradeheraus. »Eine tödliche Verletzung?«
    »Ja«, sagte er wortkarg.
    »Ein Unfall?«
    »So was in der Art.«
    »Ein Autounfall?«
    »Das nun nicht gerade.«
    »Du willst wohl nicht darüber reden?«, bohrte ich. »Ist es vielleicht geheim, oder was?«
    Er zuckte die Achseln. »Es war im Krieg.«
    »Im Krieg? Du … äh, warst du etwa eine Art Söldner?«
    »Ich war Soldat. Und zwar ein deutscher Soldat«, setzte er hinzu, bevor ich fragen konnte, für welche Bananenrepublik er gekämpft hatte.
    Ich schluckte und überlegte fieberhaft, an welcher Art von Krieg die Bundeswehr bisher beteiligt gewesen war. Mir fiel keiner ein. Es hatte seit der Gründung der Republik nur Friedenskommandos gegeben.
    »Warst du in Afghanistan?«
    »Es war in der Schlacht von Verdun«, sagte er knapp.
    »Ver…« Ich brachte es nicht heraus. Mein Mund blieb sperrangelweit offen stehen.
    Die Schlacht von Verdun, so viel wusste ich noch aus dem Geschichtsunterricht, hatte sich im Weltkrieg zugetragen. Und zwar im Ersten.
    Ich konnte es nicht fassen. Dieser Mann musste so alt wie Methusalem sein!
    Fieberhaft fing ich an zu rechnen, doch ich warf sämtliche Jahreszahlen durcheinander. Martin lehnte sich zurück und blieb wippend auf den Fersen hocken. Abwägend schaute er mich an. Seine Augen funkelten in der Dunkelheit in einem blassen metallischen Grau.
    »Wie alt bist du genau?«, platzte ich heraus.
    »Willst du das wirklich wissen?«
    »Nein.« Ich besann mich. »Doch, klar will ich das! Du warst mit mir im Bett, und … ähm, ich meine …«
    Er grinste anzüglich. »War ich dir nicht ausdauernd genug? Zu senil? Zu verbraucht?«
    Ich rechnete erneut. Martin, der offenbar ein begabter Gedankenleser war, half mir auf die Sprünge. »Nächsten Monat werde ich hundertundfünfzehn.«
    Ich hielt mich an den Stahlbeschlägen des Sargdeckels fest. Wenn das nicht der Gipfel der Perversität war! Ich hatte mit einem Mann Sex gehabt, der fast neunzig Jahre älter war als ich!
    Er warf den Kopf zurück und lachte. »Du bist einfach süß, weißt du das?«
    Meinte er das im wörtlichen oder im übertragenen Sinne?
    »Sowohl als auch«, sagte er.
    Ich legte meine Fingerspitzen an die Schläfen. Sich mit diesem Mann zu unterhalten, bedurfte besonderer Fähigkeiten, die mir momentan schlicht abgingen.
    »Wo ist Solveig?«, wollte ich wissen.
    Er zog ein Gesicht, und im nächsten Augenblick war er mit einer geschmeidigen Bewegung, die zu schnell gewesen war, als dass ich sie in allen Einzelheiten hätte verfolgen können, bei der Tür und entriegelte sie.
    »Warte!« Mühsam kämpfte ich mich aus meinem Satinlager, nach dem langen Liegen alles andere als gelenkig. »Wenn du glaubst, dass du mich mit deinen Tricks beeindrucken kannst, bist du schiefgewickelt! Das hast du schon mal versucht, und da bin ich auch nicht drauf reingefallen!«
    Er war schon auf dem Weg nach oben. Ich flitzte ihm hinterher, wobei ich bemerkte, dass ich immer noch Solveigs schlabberige Jogginghose trug, die ich in der Schreckensnacht im Waschkeller mit letzter Kraft angezogen hatte. Ich musste sie mit beiden Händen festhalten, um sie nicht beim Laufen zu verlieren. Stolpernd hastete ich Martins Geruch und dem Geräusch seiner sich rasch entfernenden Schritte hinterher. Womöglich kam er auf die Idee, mich hier unten einzusperren, bloß um sich nicht mit mir abgeben zu müssen! Und bei meiner Frage nach Solveig hatte er alles andere als begeistert gewirkt. Wenn ich daran dachte, was er in der Zwischenzeit alles mit ihr angestellt haben konnte, wurde mir mulmig.
    Eine gewundene steile Steintreppe führte nach oben. Die Wände sonderten Nässe ab und rochen scharf nach Moder und Schimmel. Irgendwo im Mauerwerk hörte ich es rascheln, ein kleines Tier, wahrscheinlich eine Maus. An anderen Stellen ertönte ein schwaches Schaben wie von Kellerasseln.
    Die Treppe endete

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