Beiss mich - Roman
nicht im Erdgeschoss, sondern in einem weiteren Keller, von dem aus eine Leiter zu einer Falltür nach oben führte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er die noch durch ein Zeitschloss gesichert hatte.
Doch dem war nicht so. Er stand oben und wartete auf mich, und als ich die Leiter erklommen hatte und oben herausgeklettert war, ließ er die Falltür zukrachen und schob einen Sisalteppich darüber. Wie überall war es auch hier dunkel, doch wozu Licht anmachen, wenn auch so alles zu erkennen war?
Wir befanden uns im Erdgeschoss des Hauses, in einem schmalen fensterlosen Raum, anscheinend eine Speisekammer, von der ein Durchgang in eine Küche führte. Dass es eine Küche war, erkannte man an der einsam an der Wand stehenden Spüle und an dem Kühlschrank. Damit gab es hier sozusagen alles, was ein Vampir küchentechnisch brauchte. Ich hörte das schwache Summen des Kühlschranks, und meine Nase witterte den schweren, beißenden Duft von Blut.
Ich schnüffelte alarmiert. »Wo ist Solveig? Wenn du ihr was getan hast, dann …«
»Ich weiß nicht, wo sie ist. Doch ich vermute, sie wird heute oder morgen vorbeikommen.«
Er konnte mir viel erzählen. Vorsichtshalber ging ich zum Kühlschrank und riss ihn auf. Der Geruch kam eindeutig von dort. Drinnen fand ich zum Glück keine abgetrennten Gliedmaßen, sondern nur ein paar Blutbeutel mit dem Aufdruck vom Rotkreuzkrankenhaus. So viel zu meinen Flashbacks und Blackouts.
»Hast du Durst?«, fragte Martin neugierig.
Ich dachte nach. »Nein. Kein bisschen.«
»Hast du viel getrunken?«
»Du meinst … ehm … Du redest wohl nicht von Wasser, oder?« Ich machte die Kühlschranktür zu und lehnte mich dagegen. Natürlich redete er nicht von Wasser. Ich schluckte und versuchte das plötzliche Gefühl der Enge loszuwerden, das meine Kehle zuschnürte. »Ich glaube, ich habe einen ganzen Mann leergetrunken.«
Martins Zähne blitzten weiß in der Dunkelheit. »Das hat dir sicher gutgetan.«
»Ich hab’s nicht absichtlich gemacht«, protestierte ich, doch es hörte sich wenig überzeugend an.
»Du wirst jetzt lange nichts brauchen«, meinte Martin sachlich. »Nicht nach dieser Menge. Außerdem hält arterielles Blut viel länger vor als venöses. Du wirst natürlich ab und zu Lust zum Beißen haben, aber nicht mehr diesen unkontrollierten Durst.«
»Und wann kommt der wieder?«, fragte ich besorgt.
»Überhaupt nicht, wenn du so vernünftig bist, ab und zu einen Schluck zu dir zu nehmen.«
»Machst du das so, wenn du durstig bist? Du … hm, du bringst wohl keine Leute deswegen um, oder?«
»Nur, wenn man mich zwingt.«
Da war er wieder, dieser leise, gefährliche Tonfall, der einen Schauer über meinen Rücken laufen ließ – was sich zu meinem Ärger nicht ganz so eiskalt und unangenehm anfühlte, wie es eigentlich angebracht gewesen wäre. Man konnte sogar fast sagen, dass es ein eher wohliges Gruseln war, das mich bei seiner kryptischen Äußerung befiel.
»Ach, Lucia. Nimmst du eigentlich immer nur das Schlimmste von mir an?« Martin lächelte entwaffnend und schob die dunkle Locke zur Seite, die ihm fortwährend in die Stirn fiel. Plötzlich sah er so jung und unglaublich charmant aus, dass mein Herz schmerzhaft schneller schlug.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, krächzte ich.
»Lüg nicht«, wies er mich nachsichtig zurecht. »Du glaubst, dass ich jederzeit unliebsame Zeugen um die Ecke bringe, stimmt’s? Dass ich Leute töte, nur weil sie mir vielleicht gefährlich werden könnten.«
»Ja. Genau das glaube ich.« Wozu ihn anschwindeln, wenn er sowieso wusste, was ich dachte? Und außerdem war ich sicher , dass er es getan hatte. Wie viele er wohl auf die Art erledigt hatte?
»Es waren drei.«
»Drei was?«
»Ich habe drei Menschen mit meinem Biss getötet.«
»War das auch im Krieg?«
Er nickte ernst. »Da waren zwei Partisanen, die mir die Kehle durchschneiden wollten. Ich kam ihnen zuvor und habe ihr Blut getrunken.«
Ich versuchte vergeblich, die Kälte des Kühlschranks in meinem Rücken zu ignorieren. »Und der dritte? Hat der auch versucht, dich zu ermorden?«
»Nein. Das war eine völlig andere Geschichte.« Seine Miene verschloss sich, und es war klar, dass er mir nicht mehr darüber erzählen wollte.
Dann kam er zu mir und legte die Hand auf meine Schulter. »Ich habe dich verwandelt.« Seine Miene war ernst, und bevor ich protestieren konnte, redete er weiter. »Du bist durch mich zu dem geworden, was du heute bist. Das war ein
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