Beiss noch einmal mit Gefuehl
„Hey! Wäre die lange Trockenheit nicht gewesen, wären die Leichen bis heute unentdeckt geblieben!“
„Da bin ich sicher“, sagte Sebastian in einem Ton, den ich für herablassend hätte halten können, wenn er nicht zärtlich meine zur Faust geballte Hand gestreichelt hätte, um mich zu beschwichtigen. Es erstaunte mich immer wieder, wie warm seine Hände waren. Sebastian war durch Magie zum Vampir geworden, nicht durch Blut, und von Grabeskälte konnte bei ihm wahrlich keine Rede sein.
Bei „Grab“ musste ich sofort wieder an die in Gartenfolie gewickelten Leichen der vatikanischen Mörder denken. Es war einfach schrecklich. Warum drehte es sich in meinem Leben nur ständig um den Tod?
Ich hätte mich am liebsten über den Tisch gebeugt, um Sebastian einen langen, hingebungsvollen, lebensbejahenden Kuss zu geben. Ihn zu berühren, beruhigte und erdete mich. Ich wollte ihn gerade bitten, sich neben mich zu setzen, damit ich mich ein bisschen an ihn anlehnen und Kraft tanken konnte, da tauchte die Kellnerin auf.
Sie war ziemlich jung, im Studentenalter, sportlich, wenn auch ein wenig stämmig, und hatte pinkfarbene Strähnen in ihrem struppigen kurzen blonden Haar und ein Dreieck in
derselben Farbe im Ohr. Falls sie etwas von unserem Gespräch mitbekommen hatte, ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken und nahm routiniert unsere Bestellung auf: ein Reuben-Sandwich mit Corned Beef, Käse und Sauerkraut für Sebastian und für mich Bratkartoffeln mit von beiden Seiten gebratenen Spiegeleiern. Als sie davonschlurfte, wunderte ich mich über ihren schleppenden Gang ...
Ich schnupperte prüfend. „Riechst du auch Leichenschimmel?“
Sebastian schüttelte den Kopf. „Patschuli. Ein furchtbares Zeug!“
„Ja, vielleicht ist es das, was ich rieche.“ Ich sah der Kellnerin hinterher, bis sie in der Tür hinter der Theke verschwand.
Sebastian nahm einen Schluck Wasser und studierte mich mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck. Er sah aus, als dächte er angestrengt über irgendetwas nach.
„Was?“, fragte ich aufgebracht. Ich hatte ihn gar nicht so anfahren wollen, aber seit ich in der Angst lebte, möglicherweise des Mordes überführt zu werden, konnte ich es nicht gut ertragen, derart gemustert zu werden.
„Du hast doch vorhin etwas von Steinen gesagt, oder?“, fragte er so entspannt, als sprächen wir über den aktuellen Teepreis in China.
Ich nickte. Eigentlich wollte ich mich gar nicht so genau daran erinnern, was wir mit den toten Vatikan-Agenten gemacht hatten. Die Wahrheit war, dass Parrish die Leichenentsorgungsaktion weitgehend allein durchgeführt hatte. Ich war viel zu entsetzt, erschüttert und fertig gewesen, um irgendetwas zu tun, weil sich gerade erst eine Göttin in mir eingenistet hatte, die man auch als „Mutter aller Dämonen“ bezeichnet.
Sebastian räusperte sich. „Woher hattest du nur die Geistesgegenwart, an so etwas zu denken?“
Ich hätte fast gelacht. Von Geistesgegenwart konnte nicht die Rede sein, denn in jener Nacht war ich völlig unzurechnungsfähig gewesen.
„Aha“, machte Sebastian, als ich nichts sagte. „Das habe ich mir gedacht.“
„Was hast du dir gedacht?“
„Parrish hat dir geholfen, nicht wahr?“
„Du klingst ja eifersüchtig“, neckte ich ihn.
Sebastian studierte eingehend das Karomuster der Tischdecke.
Bevor ich fortfahren konnte, kam die Kellnerin und servierte mir eine Tasse Kaffee, dann stellte sie Sebastian eine Dose Limo und ein Glas hin und legte das in weiße Papierservietten gewickelte Besteck auf den Tisch. Die ganze Zeit über starrten Sebastian und ich einander grimmig an.
Als sie wieder ging, raunte ich Sebastian zu: „Du bist eifersüchtig!“
Er zuckte mit den Schultern und schob sein Glas und das Besteck ein Stück zur Seite. „Man sagt doch immer, echte Freunde helfen sich beim Leichenvergraben.“
„Wer sagt das?“
Er sah mich an und klimperte mit seinen fast mädchenhaft dichten Wimpern. „Na ja, manche Leute eben.“
Ich schnaubte. „Da gibt sich offensichtlich jemand mit den falschen Leuten ab!“
Kaum hatten die Worte meinen Mund verlassen, hätte ich sie am liebsten sofort wieder gelöscht. Außenstehenden mochte meine Bemerkung gar nicht so schlimm erscheinen, aber die Leute, mit denen Sebastian sich herumtrieb, wenn er nicht mit mir zusammen war, waren in letzter Zeit das Thema zahlreicher Streitereien zwischen uns gewesen.
Dabei hatte ich überhaupt nichts gegen seine Freunde. Die, die ich
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