Beiss noch einmal mit Gefuehl
noch ein paar Holzscheite in den Kamin warf.
Ich liebte sein Wohnzimmer. Es war voller Bücher und Kuriositäten, die er in seinem langen, interessanten Leben zusammengetragen hatte. Jedes Mal, wenn ich meinen Blick über die Regale schweifen ließ, entdeckte ich etwas Neues; etwas, das mir eine weitere Facette von Sebastian offenbarte.
Parrishs gesamte Besitztümer passten hingegen in zwei Truhen und ein Paar Satteltaschen.
Ich nippte an meinem mit Honig gesüßten Kamillentee. „Meinst du, es wird alles klappen?“
Sebastian setzte sich neben mich, legte die Füße hoch und schaute ins Feuer. „Wenn die Rechtsmedizinerin auf eine Autopsie verzichtet, wie sie angedeutet hat, dann schon“, entgegnete er schulterzuckend. „Wir können die Leiche abholen, sobald der Totenschein ausgestellt ist und uns die Überführungsgenehmigung vorliegt. Das wird wahrscheinlich noch ein paar Tage dauern. Aber wir haben klar zum Ausdruck gebracht, dass wir ihn selbst bestatten wollen, also werden sie ihn nicht einbalsamieren. Das ist in Wisconsin sowieso nicht Vorschrift.“
„Will ich wissen, warum du dich mit diesen Dingen so gut auskennst?“
„Teréza“, sagte er nur. Sie war die tote/nicht tote Mutter seines Sohnes. Sebastian hatte vergeblich versucht, sie zum Vampir zu machen. Nun verharrte sie als Leiche mit Seele in einem Zustand zwischen Leben und Tod. Weil Sebastian durch Alchemie zum Vampir geworden war und nicht durch Blut, konnte er keine Vampire erschaffen. Aber Kinder konnte er sehr wohl zeugen - echte, lebendige Kinder. Jedenfalls waren Sebastian und sein Sohn Mátyás sich nicht einig, was sie mit Teréza machen sollten. Sebastian hatte es für das Klügste gehalten, sie zu begraben, damit sie in Frieden ruhen konnte, doch Mátyás grub sie immer wieder aus. Die Problematik dieser Familie war besonders bizarr.
„Wenn man eine Leiche im Haus herumliegen hat, ist es besser, man kennt sich mit den örtlichen Bestimmungen aus.“
„Ah“, machte ich nur, denn ich wollte wirklich nicht darüber reden, wie gruselig ich diese Sache fand.
Wir verfielen in Schweigen. Ich beobachtete fasziniert den Tanz der Flammen auf den Scheiten im Kamin. Das noch etwas feuchte Holz knackte und zischte, und im Raum breitete sich Birkengeruch aus.
Sebastian stellte seine leere Teetasse ab. „Hast du eine Totenwache oder eine Trauerfeier geplant? Und willst du einen Nachruf schreiben?“
An diese Dinge hatte ich noch gar nicht gedacht. „Sollte ich vermutlich. Das erwarten die Leute, nicht wahr?“
„Das tut man im Allgemeinen.“
Nur, dass ich keine Ahnung von all dem hatte.
Nach dem Tod meiner Freundinnen war ich aus Minneapolis geflohen und hatte die Erledigung der Pflichten anderen Leuten überlassen. Manche Zirkelmitglieder, Jasmine beispielsweise, hatten sich nie zu ihrem wahren Glauben bekannt. Ich fragte mich, ob sie als Lutheranerin beerdigt worden war, von einem Pastor, der überhaupt nichts von ihrem Leben wusste.
Ihre Nachrufe oder Todesanzeigen hatte ich nie gesehen - nicht dass ich ihre bürgerlichen Namen erkannt hätte, denn wir hatten unsere wahre Identität immer streng geheim gehalten. Trotzdem. Hatte jemand eine Grabrede für sie gehalten? Oder bei einem Glas Bier unsere Lieblingsanekdoten erzählt ?
Irgendjemand musste es getan haben, aber ich war es nicht gewesen.
Sebastian stand auf und holte ein in Leder gebundenes Album aus dem Regal. Als er sich wieder zu mir setzte, legte er es auf seinen Schoß. „Ich musste im Lauf meines Lebens schon einige Nachrufe schreiben“, sagte er. Dann fuhr er nachdenklich mit dem Finger an der Kante des Einbands entlang und legte das Buch auf den Beistelltisch, ohne es aufzuschlagen.
„Ist da etwas drin, das ich besser nicht sehen sollte?“, fragte ich. Unter meinem Pullover spürte ich Parrishs Ring an meiner Brust.
„Wahrscheinlich“, entgegnete er. „Ich bin ja schon eine ganze Weile unterwegs.“
Das erinnerte mich an etwas, das mich brennend interessierte, aber wie sollte ich danach fragen? „Sag mal... äh, sind da vielleicht auch Jungs drin?“
„Jungs?“
„Ja, du weißt schon: die ihr liebender Partner Sebastian überlebt hat.“
Seine Empörung konnte unmöglich gespielt sein. „Garnet! Ich bin katholisch!“
Ich zog eine Augenbraue hoch, nach dem Motto: Das heißt noch gar nichts.
Er kratzte sich an der Nase. „Hör mal, irgendwie gehen die Leute immer davon aus, dass Vampire bisexuell sind, aber ich bin hetero. Mit Männern
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