Bekehrung: Ein Eifel-Krimi (Eifelkrimis) (German Edition)
Eifel mobilisiert, um sich von meinen Fahrdiensten nicht abhängig zu machen. Sehr enttäuscht, dass er mich um die Gelegenheit gebracht hat, sein Bittgesuch abzulehnen, will ich mich wieder ins Haus zurückziehen.
Da packt er mich plötzlich hart am Arm und feuert aus sehr schmal gewordenen Augen einen Blick ab, als wolle er mir in den Kopf hineinzielen. Oder mitten ins Herz. Einen Augenblick lang glaube ich, er will mich küssen, und einen Augenblick lang hätte ich auch nichts dagegen gehabt. Hätte mir am liebsten, wie gestern das Schaf, die Eisklumpen vom müden Leib geschüttelt und mich endlich mal wieder angelehnt.
Marcels Stimme ist sehr ernst.
»So geht das nicht mehr, Katja!«
»Nein«, flüstere ich.
Er hat recht. So geht das nicht weiter. Diese Herumeierei! Dieser elende Zweikampf um nichts und wieder nichts, nur weil sich keiner – und vor allem ich nicht – in das Unvermeidliche fügen und klein beigeben will. Nomen est omen. Klein gibt bei. Ich strecke die Waffen. Bin zu müde, um noch länger allein ziellos durch den tiefen Schnee zu stapfen. Wozu auch, wenn einer da ist, der einem zeigt, wo’s langgeht? Ich gestehe dem Mann in Uniform das Kommando zu. Allem, was er sagt und tut, werde ich zustimmen. Damit er mich nach Hause führt, die Decke über uns ausbreitet und mir morgen früh den Kaffee ans Bett bringt. Damit es wieder so wird wie früher. Da war schließlich nicht alles schlecht.
Ich glaube, ich bringe ein versonnenes Lächeln zustande. Es wird nicht erwidert. Marcels Stimme bleibt eindringlich, aber was er sagt, will nicht so recht in mein abgeschaltetes Hirn dringen.
»Es geht nicht mehr, Katja, dass du die Tür andauernd auflässt! Du musst sie jetzt direkt hinter dir abschließen. Abschließen! Mit einem Schlüssel. Verstehst du! Jeder hätte so wie ich einfach reinkommen können. Und dich erschießen. Wie den Pastor.«
»Ja«, hauche ich.
Dann erst setze ich mir seine Sätze zusammen.
Mein Gott, was bin ich nur für ein Schaf!
»Gut, dass wir uns einig sind.« Marcel lässt mich los und sprintet zum Polizeiauto.
Nein, wir sind uns nicht einig. Ohne abzuschließen, kehre ich also in die Küche zurück und betrachte das Durcheinander auf der Anrichte, das meine Gemütslage trefflich widerspiegelt.
Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach. Nichts geht über einen guten alten Spruch, um sich eigenen Unzulänglichkeiten nicht stellen zu müssen. Marcel hätte dazu wahrscheinlich wieder einen von Einstein parat. Ich verschiebe das Kochen auf morgen und schließe die Eingangstür des Restaurants sorgfältig von außen zu. Bleibe einen Moment vor der Einkehr stehen. Irgendetwas habe ich vergessen. Ach ja: Der Hund fehlt mir.
So einsam habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt.
Der nächste Abend, Samstag
Derart gut besucht ist unsere kleine Kirche noch nie gewesen. Weit mehr als hundert Leute drängen sich im Altarraum und zwischen den Bänken. Die schlichte, aber geschmackvolle Einrichtung kann von den meisten Teilnehmern der Fackelwanderung kaum ordentlich gewürdigt werden, da alle Brillengläser beschlagen sind, die Dämmerung eingesetzt hat und die Kirchenlampen ihr Licht äußerst sparsam spenden.
Ich stehe ganz hinten zwischen Gudrun und einem Journalisten der Kölnischen Rundschau . Wie eine Touristin komme ich mir vor, als Nachbarin Hildegard Sieberath über unseren kleinen Grenzort referiert. Erstmals erfahre ich, dass es meinem belgischen Nachbarn zu verdanken ist, dass hier auf NRW-Gebiet die Kirche »Maria Himmelfahrt« steht und etwas abseits auch der Friedhof angelegt wurde, klein, aber international, denn dort liegen Kehrer aus zwei Staaten und zwei Bundesländern begraben.
Die noch Lebenden hat Hildegard genau nachgezählt. Sie ordnet unserem Flecken dreiundsechzig Bewohner zu; jeweils siebenundzwanzig gehören zu Rheinland-Pfalz und NRW; neun sind Untertanen des belgischen Königs. Von allen Neunen bin ich also eine. Nur acht Kinder leben hier, dafür aber fünfundzwanzig Übersechzigjährige. Ich werde Hildegard später befragen, welchem Bundesland sie Gudrun zugeordnet hat. Als Hinterzimmerbewohnerin der Einkehr gehört sie eigentlich zu NRW, aber ihr Wohnhaus, Davids Erbe, das jetzt Bianca gemietet hat, steht in Rheinland-Pfalz. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Gudrun beim Einwohnermeldeamt eine Adressenänderung beantragt hat; das würde alles nur komplizierter machen. Vor allem, weil sie immer noch auf eine Rückkehr mit David in ihr
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