Bekehrung: Ein Eifel-Krimi (Eifelkrimis) (German Edition)
Küchenmesser bei mir haben. Ich ziehe die nächstbeste Schublade auf. Nur ungeordneter Krimskrams. Ich schiebe das Fach zu, reiße es aber sofort wieder auf. Richtig, die breite kleine Metallröhre, die unter einem Faltblatt hervorlugt, entpuppt sich als der Lauf einer Pistole. Mit spitzen Fingern nehme ich sie heraus. Sie ähnelt der belgischen Dienstwaffe, die Marcel seit einigen Tagen ständig mit sich herumträgt; allerdings sehen für mich alle Pistolen gleich aus.
Marcel hat mir schon vor Jahren die Bedienung seiner Neun-Millimeter-GP erklären wollen, was ich empört abgelehnt habe. Nie würde ich so ein tödliches Ding in die Hand nehmen! Jetzt rächt sich meine sture pazifistische Grundhaltung.
Keine Ahnung, wie man mit dem Teil umgeht. Irgendwo muss man es entsichern. Und dann irgendwie irgendwas durchziehen, ritsch, ratsch; das zeigen sie doch immer in Filmen. Aber was, wenn die Pistole geladen ist und sich bei meinem Herumfummeln plötzlich ein Schuss löst? Meine Angst vor der unberechenbaren Frau übertrifft allerdings bei Weitem die vor der unberechenbaren Waffe. Also nehme ich sie zur Abschreckung in die Hand. Im extremen Verteidigungsfall muss ich darauf hoffen, sie reflexiv und intuitiv abfeuern zu können.
Ich werfe nur einen kurzen Blick in die Räume des Erd- und Obergeschosses, wo es kaum wärmer als in der Küche ist, und erklimme dann die steile Holztreppe zum Dachboden. Die Pistole lege ich auf der obersten Stufe ab, stemme dann beide Hände gegen die Luke und stoße sie mit einem enormen Ruck auf. Polternd fällt sie nach hinten. Sofort greife ich wieder nach meiner Waffe und rutsche mit ihr hastig die Treppe runter. Ich werde mich doch von oben nicht einfach abknallen lassen!
Lange Zeit bleibe ich im Schutz der Treppe stehen.
Es rührt sich nichts.
»Sie steckt da oben«, rufe ich laut, greife zu einem Holzhocker und werfe ihn die Treppe hinunter. Ich warte, bis das Gepolter verklungen ist, eile dann selbst nach unten, stecke mir die Pistole in die Jackentasche, nehme den Schemel in beide Hände und mache mit ihm und meinen eigenen Strumpffüßen auf den Holzstufen einen Lärm, der hoffentlich so klingt, als erstürmten mehrere Polizisten die Treppe.
Immer noch nichts.
Zu meiner eigenen Beruhigung öffne ich eine Tür im Obergeschoss und lasse sie wieder zuknallen, während ich mit dem Hockerkissen unterm Arm wieder rasch die steile Treppe zum Speicher hinaufhusche. Oben angekommen hebe ich das Hockerkissen wie einen Cowboyhut durch die Luke. Als der erwartete Schuss ausbleibt, stecke ich todesmutig meinen Kopf hindurch. Danach meinen ganzen Körper. Ich bin völlig außer Atem – und allein.
Ein Speicher, so verlassen, vollgerümpelt und eingestaubt wie jeder andere. Nirgendwo hat es sich jemand gemütlich gemacht oder auch nur einen Abdruck im Staub hinterlassen. Hier oben ist schon lange kein Mensch mehr gewesen.
Zwischen Erleichterung und Enttäuschung schwankend gehe ich wieder ganz nach unten.
Bleibt nur noch der Keller.
Die Tür ist von außen verschlossen. Ich drehe den Schlüssel um, knipse das Licht an und lausche wieder in eine gespenstische Stille hinein. Diesmal verzichte ich darauf, einen Gegenstand hinunterzuwerfen. Ich erwarte nicht, Barbara Gordon da anzutreffen, wo ständig nach der Heizung geschaut wird. Ohne große Angst gehe ich mit der Pistole in der Hand die Treppe hinunter, will mir nur der Vollständigkeit halber auch die Kellerräume ansehen.
Dazu komme ich nicht.
Ich kann nicht schreien. Dafür ist der Schreck zu groß. Nie zuvor hat mich jemand aus so großer Höhe angesprungen und zu Boden geworfen. Ein Gewicht liegt auf mir. Die Pistole ist mir bei dem Angriff aus der Hand gefallen und über den Kellerboden geschlittert.
Ich bekomme keine Luft mehr und schließe die Augen. Gleich werde ich tot sein.
»Katja!«
Wo kommt Marcels Stimme her? Bin ich jetzt gestorben und im Jenseits mit ihm vereint? Wieso schmerzt mir dann jeder Knochen?
»Katja! Dschiss noch en kier!«
Verdammt noch mal.
»Tut mir so leid! Ich dachte, sie ist es.«
Das Gewicht hebt sich von meinem Rücken. Ich öffne die Augen und sehe als Erstes eine große Tiefkühltruhe neben dem Treppenabsatz. Von der muss Marcel auf mich herabgesprungen sein. Gegenüber befindet sich ein stabiler Holzverschlag, hinter dem Wein gelagert wird. Der Inhalt von mindestens einer Flasche hat sich auf den Kellerboden ausgebreitet. An der offenen Tür des Verschlags baumelt ein
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