Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
hatten etwas zu warten.
»Wie kommt es denn, daß das Rhinozeros dich selber sprechen will?« fragte mich der Bursche.
»Sie meinen Herrn Stürzli? Beziehungen. Persönliche Verbindungen«, warf ich hin. »Warum nennen Sie ihn übrigens Rhinozeros?«
»C’est son sobriquet. Pardon, ich habe ihn nicht erfunden.«
»Aber bitte, ich bin dankbar für jede Information«, erwiderte ich.
Der Fahrstuhl war sehr hübsch getäfelt und elektrisch erleuchtet, mit einer roten Sammetbank versehen. Ein Jüngling in jener sandfarbenen Livree mit roten Litzen bediente den Schalthebel. Er landete erst zu hoch, dann beträchtlich zu tief, und über die so entstandene steile Stufe ließ er uns einsteigen.
»Tu n’apprendras jamais, Eustache«, sagte mein Führer zu ihm, »à manier cette gondole.«
»Pour toi je m’échaufferai!« erwiderte der andere grob.
Das mißfiel mir, und ich konnte nicht umhin zu bemerken:
»Die Schwachen sollten einander nicht Verachtung erzeigen. Das wird ihre Stellung wenig stärken in den Augen der Mächtigen.«
»Tiens«, sagte der Zurechtgewiesene. »Un philosophe!«
Wir waren schon unten. Während wir von den Lifts am Rande der Halle hin gegen die Réception und an ihr vorbei gingen, bemerkte ich wohl, daß der Chasseur mich wiederholt neugierig von der Seite ansah. Es war mir immer lieb, wenn ich nicht nur durch die Annehmlichkeit meines Äußeren, sondern auch durch meine geistigen Gaben Eindruck machte.
Das Privatbureau des Generaldirektors lag hinter der Réception, an einem Gange, dessen andere Türen, der seinen gegenüber, zu Billard- und Leseräumen führten, wie ich sah. Mein Führer klopfte behutsam, öffnete uns auf ein Grunzen im Innern und lieferte mich, die Mütze am Schenkel, mit einer Verbeugung ein.
Herr Stürzli, ein Mann von ungewöhnlicher Körperfülle, mit grauem Spitzbärtchen, das an seinem wulstigen Doppelkinn kein rechtes Unterkommen fand, saß, Papiere durchblätternd, an seinem Schreibtisch, ohne mir vorläufig Beachtung zu schenken. Seine Erscheinung machte mir den Spottnamen, den er beim Personal führte, wohl begreiflich, denn nicht nur, daß sein Rücken überaus massig gewölbt, sein Nacken äußerst speckig gedrungen war, so wies tatsächlich der vordere Teil seiner Nase auch eine hornartig erhabene Warze auf, die die Berechtigung des Namens vollendete. Dabei waren seine Hände, mit denen er die durchgesehenen Papiere der Länge und Breite nach zu einem ordentlichen Haufen zusammenstieß, erstaunlich klein und zierlich im Verhältnis zu seiner Gesamtmasse, die aber überhaupt nichts Unbeholfenes hatte, sondern, wie das zuweilen bei den korpulentesten Leuten vorkommt, eine gewisse elegante Tournure zu bewahren wußte.
»Sie sind also dann«, sagte er in schweizerisch gefärbtem Deutsch, noch mit dem Zurechtstoßen der Papiere beschäftigt, »der mir von befreundeter Seite empfohlene junge Mann – Krull, wenn ich nicht irre – c’est ça –, der den Wunsch hat, bei uns zu arbeiten?«
»Ganz wie Sie sagen, Herr Generaldirektor«, erwiderte ich, indem ich, wenn auch mit Zurückhaltung, etwas näher herantrat, – und hatte dabei, nicht zum ersten noch letzten Mal, Gelegenheit, ein seltsames Phänomen zu beobachten. Denn da er mich ins Auge faßte, verzerrte sich sein Gesicht zu einem gewissen eklen Ausdruck, der, wie ich genau verstand, auf nichts anderes als auf meine damalige Jugendschöne zurückzuführen war. Männer nämlich, denen der Sinn ganz und gar nach dem Weiblichen steht, wie es bei Herrn Stürzli mit seinem unternehmenden Spitzbärtchen und seinem galanten Embonpoint zweifellos der Fall war, erleiden, wenn ihnen das sinnlich Gewinnende in Gestalt ihres eigenen Geschlechtes entgegentritt, oft eine eigentümliche Beklemmung ihrer Instinkte, welche damit zusammenhängt, daß die Grenze zwischen dem Sinnlichen in seiner allgemeinsten und in seiner engeren Bedeutung nicht so ganz leicht zu ziehen ist, die Konstitution aber dem Mitsprechen dieser engeren Bedeutung und ihrer Gedankenverbindungen lebhaft widerstrebt, wodurch eben jene Reflexwirkung eklen Grimassierens sich ergibt. Um einen wenig tiefreichenden Reflex, natürlich, kann es sich da nur handeln, denn gesitteterweise wird der Betroffene den fließenden Charakter genannter Grenze eher sich selbst zur Last legen als dem, der sie ihm in aller Unschuld bemerklich macht, und ihn seine ekle Beklemmung nicht entgelten lassen. Das
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