Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
immer gewusst, dass es sie gab, aber nicht in dieser Fülle. Ich hatte mich mehr mit mir selbst beschäftigt und damit, mich mit allem, was mir an amerikanischen Medien in die Finger kam, zu unterhalten und zu zerstreuen. Videokassetten von Kassenschlagern wie Batman und Superman und amerikanische Comics wie, na ja, Batman und Superman . Nicht, dass die Beschäftigung damit Zeitverschwendung gewesen wäre. Im Rückblick waren es eindeutig die Comics, die mich an die Proportionen des menschlichen Körpers heranführten. Die kräftigen Brustmuskeln des Mannes, die Sanduhrenform der Frau. Diese Bilder, so übertrieben sie waren, weckten in mir ein frühes Interesse an Silhouette und Form, am Verführen durch Kleidung. Ich weiß noch, dass mir das Ledercape eines Superhelden besonders gefiel, weil es auf allen Bildern im Wind flatterte – ein Kleidungsstück in Aktion. Dann die hautengen Anzüge, die sowohl Männer als auch Frauen trugen und die Catwomans Brustwarzen und Nightwings Beule betonten. So ziemlich das Gegenteil des Stils, den ich später in meinenKreationen entwickeln würde. Meine Hobbys – denn das waren sie damals für mich – hatten mich zu einer Art Einzelgänger gemacht. Bis zur achten Klasse hatte ich viel lieber Cartoon-Typen gezeichnet, als nach der Schule mit echten herumzuhängen.
Doch dann entdeckte ich sie. Die Mädchen in ihren Faltenröcken, der Uniform des Nymphleins und unserer Santo Niño Privatschule. Mir fiel zum ersten Mal auf, wie die Hüften der Mädchen breiter wurden, wie ihre Brüste über jene reizenden Hügelchen hinaus anschwollen und wie ihre Beine unter den weißen Strumpfhosen etwas Sinnliches verhießen.
Die erste Liebe fand mich in der Gestalt von Marianna DeSantos, einer bildhübschen Vierzehnjährigen, die vier Monate älter war als ich. Wir hatten zusammen Religion. Während des Gottesdienstes, die Jungen auf einer Seite, die Mädchen auf der anderen, erwischte sie mich dabei, wie ich sie über den Mittelgang hinweg anstarrte, während wir kniend ein Bußgebet sprechen sollten.
Unser erstes Date hatten wir in der Megamall in Makati, wo wir zusammen Schlittschuh liefen und einen langen romantischen Spaziergang von Megawing 1 nach Megawing 4 machten. Marianna hatte ihren eigenen Chauffeur, Romey, der sie beaufsichtigte.
Wir sahen einander tief in die Augen und schlenderten wie verzaubert in eine Spielhalle. Dort erklärte ich ihr die zahlreichen Tücken von Mortal Kombat II .
»Links, rechts, hoch, hoch, High Punch«, wies ich sie an. »Siehst du? Ich hab dir gerade den Kopf abgerissen.« Ich war ratlos. Ich hatte keine Ahnung, wie man ein Mädchen beeindruckte, schon gar nicht eins von Mariannas Kaliber, mit eigenem Chauffeur und allem. Allerdings brauchte ich gar nicht lange im Nebel zu stochern. Denn kaum dass meine Figur zum Kannibalen geworden war und dem abgetrenntenKopf das Gesicht abbiss, nahm Marianna meine Hand und legte sie in ihre.
»Du bist so clever«, sagte sie. Überall um uns herum spritzte das Blut. Sie drückte meine Hand fester. Dann kitzelte sie mit dem Zeigefinger verführerisch die Innenseite meiner Hand. Viel später auf der Modeschule lernte ich, dass dieses Handflächenkitzeln ein Signal für schwulen Sex war. Aber wir waren beide so unschuldig damals. Was wusste ich schon?
»Willst du mit mir gehen?«, fragte Marianna. Sie war sehr direkt.
»Was ist mit ihm?« Ich zeigte auf den Fahrer. Er stand ein paar Automaten weiter und kratzte sich.
»Mit wem, Romey? Ach, mach dir wegen dem keine Sorgen. Der ist locker.«
Ich sah Romey an, und er nickte uns zu. Es war, als erteilte er mir die Erlaubnis, mit ihr zu gehen, direkt hier vor seinen Augen. Er war wirklich locker.
»Sollen wir nicht irgendwo anders hingehen?«, fragte ich. Ich war wahnsinnig nervös.
»Warum?«, fragte sie. »Wo sollen wir denn hingehen?«
»Du weißt schon, wo wir allein sind.«
»Sieh mal, wir haben nicht viel Zeit, Boy. Ich muss um halb fünf zu Hause sein. Ich hab Geige.« Und dann ließ sie meine Hand los. Vorbei war es mit dem verführerischen Kitzeln.
Marianna hatte recht. Wir hatten nicht viel Zeit. Ich wusste es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber unsere Liebe währte nur diesen einen Nachmittag und den Samstag darauf.
»Du hast recht«, sagte ich. »Du bist so clever.« Ich legte ihre zierliche Hand in meine. Ich nutzte, was ich vor einer Minute von ihr gelernt hatte. Diese Fähigkeit würde mir viele Jahre später als Einwanderer in Amerika zugute
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