Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Willenskraft, Neid, Gier, Wahrheit, Lüge oder Therapiesitzungen. Als ich am 4. Oktober 2002 mein erstes Label auf die Innentasche jenes Jacketts nähte, spürte ich, dass ich meine Zweifel besiegt hatte. Obwohl der Anzug nicht Teil einer Kollektion werden würde, war ich einfach stolz auf mein vollbrachtes Werk. Es war ein Beweis. Mein dünnes, mit schwarzem Garn besticktes Satinetikett war ein Beweis. Ein Anzug würde heute Abend in die Welt hinausgehen und getragen werden, irgendwo an einem nicht genannten Ort, und er war der Beweis für meine Existenz.
Freitagnachmittag kam Ahmed zur letzten Anprobe. Ich ließ ihn den neuen Anzug über der knielangen Tunika anprobieren, die er trug. Bei all meinen Klagen über seinen Gestank und seine ungepflegte Erscheinung – der Mann hatte sich gründlich frisch gemacht. Sein Haar war ordentlich gescheitelt und mit Vaseline in Form gebracht, und den ungleichmäßigen Bart hatte er gestutzt. Ein würziges Aftershave hielt seine Körpernote in Schach, und zusammen ergaben sie ein erdiges Aroma. Aber es war der Anzug, der den Mann verwandelte. Ahmed stand vor dem Spiegel, und ich trat hinter ihn, glättete und zupfte zurecht. Abgesehen vom Anpassen der Hosensäume gab es kaum etwas zu tun.
»So was Gutes hab ich noch nie besessen«, sagte er. »Außer diesem Dalmatiner damals in London. Pogie. Gottverdammmich, was fehlt mir Pogie. Sheela hat ihn bei der Scheidung bekommen. Hat ihr Anwalt so hingebogen, die Schaufel. Vor ein paar Jahren ist er gestorben. Der Hund, nicht die Schaufel. Egal, jedenfalls werde ich den hier genauso in Ehren halten.«
»Die Hosenbeine müssen noch ein wenig gekürzt werden.« Ich steckte die Länge ab. »Zieh die Hose noch mal aus, und ich mach das gleich.«
»Und auf der Brusttasche meine Initialen, was für eine Geste! Hatte ich recht mit dir oder hatte ich recht?«, fragte er, zog die Hose aus und gab sie mir. »Eins-A-Talent.«
»Die Initialen setzen genau das richtige Highlight. Sie sind auffällig, aber nicht zu auffällig. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf das Outfit, aber sie erdrücken es nicht.«
»Ich sehe, du hast deine Hausaufgaben gemacht.«
Während ich an meinem Arbeitstisch mit dem Säumen der Hose begann, wandte sich Ahmed erneut dem Spiegel zu und bewunderte weiter sein Jackett. Er drehte sich von vorn ins Profil und knöpfte das Jackett auf und wieder zu. Mit seinen dünnen Beinen unter dem Kugelbauch sah er ziemlich karikaturenhaft aus. Man sieht so selten Männerbeine, und warum nicht? Ich bin mir sicher, dass Männer ihre Beine pflegen, eincremen und trainieren würden, wenn sie nur das richtige Kleidungsstück hätten, um sie zu zeigen.
Das letzte Mal, erzählte er, habe er so einen Anzug in den Neunzigern bei seiner Hochzeit getragen, als man beiderseits des großen Teichs über ihn redete. Diese Details aus seinem Leben – Sheela, der Dalmatiner und jetzt seine Hochzeit – kamen mir so obskur vor, dass ich beschloss, die Gunst der Stunde zu nutzen und nach der genauen zeitlichen Abfolge zu fragen, während er noch ohne Hose vor mir stand.
»Wie lange hast du eigentlich in London gelebt?«, fragte ich.
»Viele Jahre.«
»War das vor oder nach Kanada?«
»Ach, die Zeit ist ein einziges Kuddelmuddel in meinem Alter. Heute ist man hier, morgen da. Was ich damals durch die Weltgeschichte gereist bin! Das Geschäft hat mich auf Trab gehalten. Ich hab jahrelang zwischen den Ländern gelebt. Die Luft über dem Atlantik – das war mein Zuhause. Die kanadische Staatsbürgerschaft hab ich erst angenommen, als ich mich operieren lassen musste. Als die Scheidung durch war, konnte ich nicht mehr nach England zurück. Das tat vielleicht weh. Ich fühlte mich, als wäre ich rausgeschmissen worden.« 25
»Autsch. Eine Scheidung und obendrein noch gesundheitliche Probleme.«
»Wenn, dann kommt’s richtig dicke. Am Ende wurde alles gut. Kanada hat mich mit offenen Armen aufgenommen, und ich habe meine OP bekommen. Du wirst in diesem Gesicht nie mehr eine Brille sehen. Ich trag jetzt Kontaktlinsen.« Bei diesem Satz zeigte er erst auf das linke und dann auf das rechte Auge. »Das sind die Fenster zur Seele, mein Freund.Warum soll man die verdecken? Also, ich traue niemandem mit Brille. Wo die Technik doch heutzutage so weit ist. Wie ich sehe, hast du hervorragende Augen.«
»Nein, ganz im Gegenteil. Ich trage auch Kontaktlinsen.«
»Aber keine Brille.«
»Ich hab eine. Ich setz sie bloß nie auf.« Ich begann, die Hose zu
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