Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Leser wiederzugeben. Aber das geht rein technisch nicht. 30 Es war wie ein perfekter Tauchgang, bei dem der Fokus des Tauchers präzise ist, sein Verstand klar, sein Körper kontrolliert und der Wind günstig, so dass er eins wird mit dem Pool. Gleich dieser olympischen Utopie packte mich aus den Zeilen der W heraus das Modefieber. Mich sprachen nicht ein bestimmter Designer oder ein bestimmtes Kleid an. Es war das Ganze, nicht die einzelnen Teile. Es war die anspruchsvolle Promi-Kultur, versprengt zwischen endlosen Werbeseiten für Givenchy und Dolce & Gabbana, die mit androgynen Models Sex zu verkaufen schienen: durchscheinende Unterwäsche, hier und da mal eine Brustwarze – die Schönheit jungen Lebens, so unerreichbar und doch zum Greifen nah, denn man brauchte nur die Hand auszustrecken und konnte sie berühren! Wie kann sich ein Junge bloß Modemagazine ansehen? Wie könnte er nicht? Auf jeder Seite war Verlangen und Erfüllung. Aktion Reaktion. Ich weiß nicht, was ich will, dasMagazin sagt es mir. Allein dieses Heft enthielt achtzig Seiten Bilder – Fotos von Schönheit –, hin und wieder unterbrochen von der Kurzbiografie irgendeines Stars, und danach noch mehr Schönheit.
Mode ist nicht nur ein Beruf, ein schönes Gesicht oder ein richtungsweisendes Kleid. Sie ist die einzige Kunstform, die wir tragen, von Kopf bis Fuß, und die automatisch ein Bild der eigenen Persönlichkeit vermittelt, ob wahr oder falsch – wer kann das sagen? Sie bestimmt, wie uns andere sehen. Wie wir gesehen werden wollen. Und am Ende auch, wie wir in Erinnerung bleiben werden, sonst würden wir nackt beerdigt statt in unserem besten Anzug. »Sieh ihn dir an. Er war ein Arschloch, aber immer gut gekleidet.«
Mit fiebriger Gier verschlang ich ein Heft nach dem anderen, und plötzlich war Marianna besorgt. »Alles klar mit dir? Du schwitzt ja«, sagte sie.
»Tut mir leid, mir wird leicht warm.« Schnell wechselte ich das Thema. »Diese Zeitschriften sind klasse. Wo hast du die alle her?«
»Das sind Modemagazine, du Dummkopf. Aus dem Modeladen, woher denn sonst?« Obwohl Marianna in Manila geboren war, sprach sie Englisch mit derselben kalifornischen Intonation, die auch ich aus dem Fernsehen gelernt hatte.
»Wo ist der denn?«
Sie sah mich an, als hätte ich eine ansteckende Krankheit.
»Boy, du bist echt ein Idiot. Es gibt keinen Modeladen. Das hab ich erfunden. Oder was hast du gedacht? Ich wollte nur testen, wie doof du bist. Damit du’s weißt, du bist durchgefallen. I-di-ot.« Sie rollte sich mit der schweren Vogue , die ich haben wollte, auf den Rücken und ignorierte mich wieder. Es war seltsam, sie so zu sehen, ganz anders als die Marianna, die ich aus der Schule kannte oder von unserem ersten Date, bei dem sie mir in der Spielhalle die Zunge in den Mund gesteckt hatte. Womit hatte ich das verdient?
Statt meinem Ärger Luft zu machen, hielt ich mich freundlich zurück. Jetzt, wo sie mich wie ein Stück Dreck behandelte, wollte ich ihr nur noch mehr gefallen. Was sollte ich machen? Ich war verrückt nach diesen wunderbaren Wesen! Mädchen gaben meinem Leben einen Sinn.
»Was guckst du so?«, fragte sie. Sie spürte, wie ich sie anstarrte.
»Ich gucke nur, weil du so schön bist?« In meiner Unsicherheit rutschte mir der Satz mit einem kalifornischen Aufwärtsschwung heraus und wurde zu einer Frage.
»Wirklich? So sicher klingst du aber nicht, du Doofie. Bist du dir sicher? Oder erzählst du nur Blödsinn?«
»Ich bin mir sicher.«
»Sicher was? Und wie kannst du dir so sicher sein?«
»Du bist schön. Das sieht doch jeder Idiot. Klar?«
Diese Sprache verstand sie. Sie legte die Vogue weg, drehte sich um und stützte sich auf einen Ellbogen, um mich anzusehen. »Du bist süß. Willst du rummachen?«
Und schon lag ich auf ihr, genau so, wie ich es aus Filmen kannte. Marianna war empfänglich für meine Bewegungen. Wir küssten uns mit derselben Intensität wie in der Spielhalle, nur dass sie jetzt meine Hand auf ihre Brust legte und sich dazu sinnlich an mich presste. In den nächsten fünfzehn Minuten rubbelten wir uns voll angezogen aus der Kindheit heraus.
Unseren Imbiss aßen wir an jenem Abend nicht mehr, und auch später nie. Irgendetwas war zwischen uns geschehen, das uns ein für alle Mal entzweite. Vielleicht waren wir uns zu schnell zu nah gekommen, jedenfalls behandelte mich Marianna am Montag wie einen Fremden. In der Mittagspause sagte sie mir, wir könnten uns nicht mehr treffen; ihre Mutter
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