Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
kommen.
Meine Berührung genügte. Marianna rebootete ihre Libido und stürzte sich auf mich. Wir küssten uns. Sie saugte an meinen Lippen, und ihre Zähne drückten sich auf meine wie eine Spange. Sie steckte mir die Zunge in den Mund, bis es nicht mehr weiter ging. Sie küsste so, als wüsste sie, dass unsere Liebe nur eine halbe Woche halten würde. Ich erwiderte ihren Kuss, rang mit ihrer Zunge und wirbelte Achten in ihrem Mund, und die ganze Zeit beobachtete ich aus dem Augenwinkel Romey, ihren Fahrer.
Händchen haltend verließen wir die Spielhalle. Egal wo ich hinsah, überall schienen andere ebenfalls Händchen zu halten, einander in die Augen zu sehen, sich die Handflächen zu kitzeln und so heimlich ihre Begierde zum Ausdruck zu bringen, es jetzt und hier zu tun, mitten im Megawing 4.
Für den folgenden Samstag lud mich Marianna DeSantos am späten Nachmittag zur merienda , einem Imbiss zwischen Mittag- und Abendessen, zu sich nach Hause ein. Ich war nicht zu einer richtigen Mahlzeit eingeladen und deshalb etwas gekränkt, aber ich dachte mir trotzdem: Na endlich, das Warten hat ein Ende. Dann würde ich meine Unschuld eben zur merienda verlieren.
Unser Familienfahrer, ein Cousin meines Großvaters, setzte mich gegen vier Uhr bei ihr ab. Marianna wohnte in einer eingezäunten Festung in Pasay City nahe dem American Memorial Cemetery. Ihr Zuhause war eine Villa mit gesondertem Dienstbotenhaus. Das Grundstück war umgeben von einer drei Meter hohen Betonmauer mit Stacheldraht obendrauf. An der Eingangspforte stand Romey Wache, über der Schulter ein Gewehr. All diese Hochsicherheitsvorkehrungen machten mich neidisch. Warum hatte unser Fahrer keine Waffe? Meine Eltern hätten wenigstens so tun können, als hätten wir altes Geld, das es zu schützen galt, auch wenn unsere Fünfzimmerwohnung in Tobacco Gardens und derMazda MPV I, in dem ich vorgefahren wurde, unverkennbar nach Mittelstand aussahen.
Als ich eingetreten war, sagte mir eins der Dienstmädchen, ich solle direkt nach oben gehen. Mit den Fersen streifte ich mir die Schuhe ab, rannte die Marmortreppe hinauf, die sich protzig rund um das Foyer hinaufwendelte, und sprintete dann auf Mariannas Zimmer zu, wo sie sich, wie ich mir vorstellte, auf einem Liegesofa rekelte und auf mich wartete. Was sie nicht tat. Sie lag bäuchlings auf dem Teppich, die Beine in der Luft. Aber was für Beine, sie flogen vor und zurück wie bei einem faulen Pilates-Trainer. »Mach die Tür zu«, sagte sie, und ihre Stimme klang irgendwie verändert. Marianna wirkte völlig abwesend. Vor ihr waren wie übergroße Sammelkarten jene Hochglanzmagazine ausgebreitet, die mein Leben werden würden. Dick und dünn, textarm und bildlastig: Elle , Vogue , Harper’s Bazaar , W , Jalouse , i-D. Wenn ich mich recht erinnere, blätterte Marianna gerade in der Septemberausgabe der amerikanischen Vogue , einem opulenten Fünfhundert-Seiten-Wälzer. Ich erinnere mich noch, wie dick sie war, wie mächtig. Sie wirkte fast biblisch in ihrem Ausmaß. In unglaublichem Tempo blätterte Marianna Seite für Seite um, überflog die Texte, sog die Label in sich auf. Und wenn ihr ein Kleid ins Auge sprang, wurde sie langsamer, hielt bei der Seite inne und überlegte einen Moment, warum es sie ansprach – einen Moment jenseits von Preis, Marke und dem Model, das es trug. Es war ein Moment zwischen dem Individuum und der Kleidung. Alles andere war bedeutungslos. In diesem Augenblick der Katharsis ist man »in der Zone« 29 , wie wir in der Branche sagen. Er kommt zustande, wenn es einem Designer gelungen ist, auf die nächste Ebene zu gelangen und etwas vollkommen Frisches, Aufregendes und Unvergessliches zu kreieren. Das mag sehr subjektiv klingen, aber es steckt eine präzise Logik dahinter. In der Mode bekommt man dieses Je-ne-sais-quoi-Gefühl.
»Pflanz dich«, sagte sie.
Ich legte meine Umhängetasche ab und setzte mich im Schneidersitz ans Ufer jenes Modemeers, neben meine Marianna. Sie blätterte weiter in ihrer Vogue und ignorierte mich im Grunde. Die überwältigende Fülle von Pumps und Gucci-Handtaschen, die sie vor sich hatte, schien ihre Libido gedämpft zu haben. Und das war völlig in Ordnung für mich, denn ich konnte es kaum erwarten, selbst loszublättern. Ich nahm mir eine Ausgabe der W – die für mich wie ein übergroßer Comic aussah – und saß da und las.
Ach, liebe Mode, könnte ich mich doch nur erinnern, was ich genau in diesem Moment fühlte, um es hier für den
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