Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
bügeln.
»Und deshalb ist es auch so leicht, dir zu vertrauen, Boy. Du versteckst dich nicht hinter irgendwas. Du bist ein ehrlicher Mensch. Das sieht man auch ohne Adleraugen. Ich hab das Gefühl, ich kann dir alles erzählen. Du darfst dasselbe gerne auch von mir denken.«
»Oh, danke.«
Im Rückblick auf diesen Moment, einen unserer ernsthafteren, fühle ich mich einfach nur betrogen. Ich begann, Ahmed auf eine fehlgeleitete Art und Weise zu vertrauen. Ich Esel. Ich kann mich den ganzen Tag hier hinsetzen und immer wieder sagen: »Ich hätte es besser wissen müssen.« Aber Tatsache ist, ich wusste es nicht besser.
Ich ließ ihn die Hose noch einmal anprobieren. Ich trat einen Schritt zurück und sah ihn an. Er strahlte. Plötzlich wurde ich wieder daran erinnert, warum ich Designer geworden war – um jemanden verwandelt zu sehen, mit neu erlangtem Selbstvertrauen aufrecht vor dem Spiegel, zu jemandem geworden, der noch besser war als der Jemand, der zu werden er für unmöglich gehalten hatte. Selbst Anzüge, diese langweiligen Textilien, denen mein Onkel sein Leben verschrieben hatte, konnten das bewirken. Ich wusste, meinem Tun wohnte etwas Reines inne. All meine Absichten kamen von Herzen. Chanel sagte einmal: »Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse.« 26
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Mein Modeleben
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Noch nie in meinem Leben musste ich jeden Tag dasselbe tragen. Meine Uniform ist Neonorange, eine Gefangenenfarbe. Sie ist viel zu groß und nicht luftdurchlässig. Ich habe mir zu behelfen versucht, indem ich von Hand die Ärmel herausgetrennt habe. Für dieses Heraustrennen wurde ich bestraft. Mir wurde das Abendessen gestrichen. Ja, so haben sie mich bestraft. Ich bekam kein Abendessen. Aber das war mir egal. Das Abendessen ist ein Päckchen, eine Ration, die ich auf einem Tablett in die Zelle geschoben bekomme. Manchmal mit einem Stück Brot oder einem halben fleckigen Apfel.
Außerdem wurde das überschüssige Material beschlagnahmt, das ich mir um die Knöchel wickeln wollte, um diese Schlabberhosen unten enger zu machen. Immerhin durfte ich mein Top behalten. Für den Rest der Woche werde ich meine Uniform also ärmellos tragen. So ist sie viel luftiger.
Es ist bald August. Fast zwei Monate sind vergangen, und noch immer kein Anwalt. Also gab ich Win zu lesen, was ich bisher geschrieben habe, weil er sich für diesen ganzen Rechtskram interessiert. Auf meine Frage, wie es mich wirken lasse – ich hoffte auf das Wort »unschuldig« –, antwortete er, das dürfe er mir nicht sagen. Aber was er lese, gefalle ihm, sagte er. Das freute mich, denn in den zwei Monaten, die ich Win jetzt kannte, hatte ich Vertrauen zu ihm gefasst, auch wenn ich heute weiß, dass man Vertrauen nicht leichtfertig verschenken darf. (Auch Cunningham ist mir ans Herz gewachsen, obwohl seine Bereitschaft, sich meine Geschichten anzuhören, von der Zahl der Models abhängt, die darin vorkommen.) Am meisten fasziniert es mich, dass Win nicht über mich urteilt wie die anderen. Er spricht mich nur selten mit meiner Nummer an, aber ich vermute, er darf mich auch nicht mit Namen anreden. Meist umgeht er die Anrede ganz. Nachdem er das Kapitel über die beiden Anzüge gelesen hatte, gestand er mir, er habe noch nie einen Zivilanzug besessen. Zur Beerdigung seines Großvaters ein paar Monate zuvor war er in seiner Paradeuniform gegangen.
»Sie müssen sehr stolz darauf sein, sie zu tragen«, sagte ich.
»Zu Hause sticht sie ein wenig heraus. Alle gucken einen immer an und fragen sich, wo ist der wohl gewesen? Die Leute bedanken sich ohne Grund bei mir. Sie kommen und schütteln mir die Hand.«
»Sie ernten Anerkennung für Ihren Dienst. Was ist daran so schlimm? Ich habe mich mein Leben lang bemüht, die Leute aus demselben Grund auf mich aufmerksam zu machen. Wenn Sie nach Hause fahren, brauchen Sie bloß Ihre Uniform anzuziehen.« Ich spürte plötzlich, dass der Moment gekommen war, um meiner Wertschätzung für die Truppen im Irak und in Afghanistan Ausdruck zu verleihen. Ich sagte zu Win, ich zöge den Hut davor, wie er und seine Kameraden sich dem Bösen in den Weg stellten. Das war die Wahrheit. Vor ein paar Jahren war ich da eine Spur ambivalenter gewesen. 2003 stand ich neben meiner damaligen Freundin Michelle Brewbaker auf der First Avenue und protestierte gegen den Krieg. Aber ich war eher ein Tourist als ein Teilnehmer. Es war ein trüber, verhangener Tag, und Schulter an Schulter gingen die Menschen auf die
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