Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
würde es nicht erlauben. Ich fragte sie, ob sie mit mir zusammen nach Cebu abhauen wolle, wo wir bei meinemschwulen Onkel ein neues Leben anfangen könnten. Wir könnten an einer anderen Schule unseren Abschluss machen und trotzdem noch auf eine gute Uni gehen. Auf diesen Vorschlag hin sagte sie mir ziemlich unverblümt, ich solle mit der Spinnerei aufhören.
Als Marianna mich sitzen ließ, hatte mein Onkel sein Geschäft in Cebu schon geschlossen. Er hatte alle Außenstände meiner Tante geerbt, und ohne jemanden, der sie eintreiben konnte, blieb Tito Roño nichts weiter übrig, als das Geschäft an einen gewissen Ninoy Sarmiento zu übergeben, einen skrupellosen Kredithai, der meiner Tante ausgeholfen hatte, wenn sie Kapital brauchte. Später erfuhr ich, dass er ein Kunde meines Onkels gewesen war. Ich hatte ihm sogar den Aschenbecher gehalten, mehr als einmal. Das Verbrechen kennt kein Mitgefühl, nicht einmal für die Toten. Was meinem Onkel jedoch den Rest gab, war die Tatsache, dass er sich am Tod seiner Frau schuldig fühlte.
Ich dagegen verwandelte das, was mir widerfahren war, in einen kleinen Sieg.
Noch in der Woche, in der Marianna mich abservierte, bettelte ich meine Eltern an, mir so viele Modemagazine wie möglich zu abonnieren. Sie sahen mich an, als hätte ich sie nicht mehr alle, als wäre ich im Sommer zu oft bei Tito Roño gewesen, aber sie hatten mir schon immer jeden Wunsch erfüllt. W , die amerikanische Vogue , Elle , Haarper’s Bazaar , i-D – in all das würde ich mich nun vertiefen können. Was nicht erhältlich war – Women’s Wear Daily und ein paar andere Titel –, ersetzte ich durch das jeweilige asiatische Gegenstück. Bald aalte ich mich auf dem Boden meines eigenen Zimmers in einem Meer aus Hochglanzmode: Da waren die etablierten Ikonen wie Chanel, Dior, Karl Lagerfeld, Saint Laurent, Prada, Valentino, Versace, Givenchy; die neuen Stars wie John Galliano, Vivienne Westwood, Marc Jacobs,Alexander McQueen und die japanische Avantgarde wie Rei Kawakubo, Yohji Yamamoto und Issey Miyake. Es war, als lernte ich eine neue Sprache. Ich begann, schlichtere Silhouetten und Figuren zu zeichnen, viel reduzierter als meine früheren Comic-Bemühungen. Superman wurde von Supermodels abgelöst. Ich zeichnete Linda Evangelista, Claudia Schiffer, Kate Moss, Christy Turlington und Naomi Campbell. Es waren die Neunziger, erinnern Sie sich, Supermodels hatten Hochkonjunktur. Mein Zimmer verwandelte sich bald in einen Reliquienschrein der Haute Couture. Jeder Quadratzentimeter war mit meinen Skizzen und hastig herausgerissenen Zeitschriftenseiten mit Fashion Editorials bedeckt. Ich hatte Bilder von Designern in Aktion. Diane von Fürstenberg, wie sie die junge Kate Moss ankleidet. Karl Lagerfeld bei der Arbeit in seinem Atelier. Ich erinnere mich noch genau an ein Foto von John Galliano in einem himmelblauen Piraten-Outfit. Sein kühner Zwirbelbart kokettierte mit der großen Feder an seinem Hut, und er stand wie in einer Vegas-Revue mit fünf oder sechs halbnackten Models in einer Reihe. Auf ihren Brüsten glitzerten Pailletten-Pasties. Die Augen waren hinter hurenhaftem schwarzen Kajal verborgen. Diese Extravaganz übertraf selbst meine wildesten Träume! Sie sprach mich an. Dem, was du erreichen kannst, sind keine Grenzen gesetzt, sagte sie. (»Du« im allumfassenden Sinne, meine ich natürlich.)
Ich erinnere mich noch an den allerersten Look, den ich zusammenstellte. Er war für meine Mutter, die sich stets hervorragend kleidete und ein untadeliges Stilempfinden besaß. Sie scheute sich nie vor Farben, und anhand der Palette ihres Schranks lernte ich leuchtende, satte und frische Kleidungsstücke kennen. Ich nahm ein ärmelloses Kleid und kombinierte es mit einem lavendelfarbenen Sommerschal, beides aus ihrer bestehenden Garderobe. Dem fügte ich ein persönliches Accessoire für sie hinzu. Es war ein weißer Hut, ein Strandhut aus Strohpapier mit einer breiten, schlaffen Krempe – ein gewöhnliches Stück, wie man es auf den Philippinen an jeder Ecke fand. Aber da ich 1992 auf dem Cover der Vogue einen ähnlichen Hut bei Christy Turlington sah, kopierte ich ihn. Ich schmückte ihn mit einem dunkellila Band, steckte eine lange weiße Feder hinein – eine Schwanenfeder, die ich mit Textmarker pink angemalt hatte – und bog das Kopfteil und die Krempe so zurecht, dass sie dieselbe Form annahmen wie bei Christy auf dem Vogue -Cover. Mir gelang eine exakte Kopie von Christy Turlingtons Hut,
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