Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Handy.«
»Es wäre nicht das erste.«
»Okay, verstanden«, sagte ich. »Kein Problem.«
Michelle war weitergegangen zur nächsten Installation. Ich hetzte Olya über den Fabrikboden und entdeckte Michelle bei den wunderbaren Gemälden von Bridget Riley, jenen dicken horizontalen Streifen aus Rileys Reminiscence -Serie 35 .
Ich achtete darauf, immer etwas Abstand zu halten, so dass überhaupt nicht auffiel, wie ich sie anstarrte. Erik kam wieder zu uns, und Olya umarmte ihn, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. Sie gab ihm einen Zungenkuss, und ich ging ein Stück beiseite, die Hände in den Hosentaschen. Als ich mich räusperte, drehte Michelle sich um, und ich spürte ihren Blick auf mir. Ich tat, als wäre ich ganz in Rileys Schnörkel vertieft, dann sah ich kurz zu ihr hinüber. Ach, diese Spielchen!
Ich verfolgte sie weiter, ein ferner Beobachter. Wie ich an anderer Stelle schon sagte, sind Frauen immer mein Augapfel gewesen. Alle Frauen. Große, kleine, pummelige, schmale. Ich betrachte sie nicht unbedingt wie andere Männer, mache sie nicht zum Objekt. (Obwohl ich natürlich auch nur ein Mensch bin, und in Michelles Fall war eindeutig eine Anziehung vorhanden.) Ich sehe mein Gegenüber zuerst mit den Augen eines Designers. Alles an Michelle inspirierte mich, ihr Stilempfinden, ihr Kleid, ihre flachen Schuhe, ihr Haar und ihre Schildpattbrille, die ihr einen intelligenten Touch verlieh. Sie war eine junge New Yorker Intellektuelle, aber völlig aus der Zeit gefallen. Ich beobachtete, wie sie nachdenklich jedes einzelne Bild betrachtete und sich dabei über das kräftige angloamerikanische Kinn strich. Sie sehen, jeder Stilgedanke erschloss sich durch bloßes Beobachten.
Es wäre sicher einfach gewesen, sie anzusprechen, zumal sie allein da war. Aber ich tat es nicht. Ich hielt mich zurück. Und dann verlor ich sie im Dunkel der Kellergalerie zwischen Neonlichtern und Videoinstallationen, in einem Labyrinth aus Schatten und Echos.
Als ich meinen Koran durchblätterte, den von D. Hicks, stieß ich auf ein Kapitel über Frauen. Dort gibt es eine interessante Passage (die Unterstreichung muss von Hicks sein), die mir jetzt passend erscheint. » O ihr, die ihr glaubt, nähert euch nicht trunken dem Gebet, sondern wartet, bis ihr wisset, was ihr sprechet. « Bei Michelle würde ich eine Chance dazu bekommen.
In der darauffolgenden Woche ging ich auf Jagd nach alten Vogue -Magazinen aus den Siebzigern, den Grace-Mirabella-Jahren. 36 Auf der 6 th Avenue erstand ich einen ganzen Stoß und blätterte sie an meinem Arbeitstisch durch, bis ich eine Schwarz-Weiß-Doppelseite von Fürstenberg selber fand, die hinreißend wie immer aussah und eins ihrer eigenen Wickelkleider trug. Ich riss zwei Seiten heraus, eine von DVF in dem Wickelkleid und eine Nahaufnahme von ihr mit diesen dunklen belgischen Augen. Beide pinnte ich an mein Moodboard.
Im November war eine ganze Wand meiner Wohnung mit Ideen bedeckt, die sich weit über die Tafel hinaus ausgebreitet hatten. Stoffmuster, Paisley-Tücher, Zeitschriftenausschnitte und Fotos. Ich war ehrgeizig und produktiv, sicher, aber ich fühlte mich mutterseelenallein. Olya war zur Fashion Week nach Paris abgereist und würde für den Rest des Jahres nicht da sein. Auf dem Rückweg von Viviennes Studio beschloss ich eines Abends, noch ein wenig herumzustreunen, einen anderen Weg auszuprobieren, mich in der U-Bahn zu verlieren in der Hoffnung, in einer völlig neuen Ecke zu landen. Auf diese Weise entdeckte ich so viele Reize der Stadt. Rein zufällig. Und genau so fand ich Michelle. Durch pures Glück. Ich nahm die 4 Richtung Downtown, und da stand sie, mitten in einem überfüllten U-Bahn-Waggon, und las zwischen all den anderen Pendlern in einem Taschenbuch. Sie war genauso hübsch wie an jenem Tag im Museum. Mit ihrem Buch verdeckte sie einen Teil ihres Gesichts, aber sie hielt das Cover gerade so weit in meine Richtung, dass ich erkennen konnte, was sie las. Es war ein Theaterstück, The Dutchman . Das über die Femme fatale, die ihren schwarzen Angebeteten in der Linie A rücklings mit dem Kerngehäuse eines Apfels ersticht. Der Apfel ist symbolisch gemeint. Tod durch Verlangen. Die anderen Fahrgäste helfen ihr an der nächsten Haltestelle, die Leiche hinauszuwerfen, und die Femme fatale steigt in einen anderen Wagen, um sich ihr nächstes Opfer, den nächsten geilen Bock aus einer verbreiteten ethnischen Minderheit zu suchen. 37
Erneut bewunderte ich ihr feines
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