Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
sich mehr oder weniger legal in diesem Land aufhalten, und ihr hantiert in aller Öffentlichkeit mit hochpreisigen Waren. Bevor ihr beiden Versaces uns durch den Nebel direkt in den Rieseneisberg voraus steuert, ist Schluss mit allen Ausgaben.«
»Aha, also haben wir doch noch Geld. Siehst du, Boy, Dick weiß, was er tut.«
»Nein, nein, wir stehen knietief im Minus«, erklärte Dick. »Das war kein Witz.«
»Hm, Boy sagt, wir müssen eine Anzahlung für die Show-Location vorstrecken.«
»Irgendwo Downtown«, fügte ich hinzu.
»Tja, dann brauchen wir wohl einen Kredit. Den Papierkram kann ich erledigen, wenn ihr das wirklich wollt.«
»Moment mal, Dick. Lass mich vorher mit Hajji reden. Ich glaube, ich kriege auch ohne Bank einen Kredit.«
Hier hörte ich zum ersten Mal von Hajji, mit dem ich es in den letzten Tagen vor der Überwältigenden Heimsuchung zu tun bekommen sollte. Hätte ich gewusst, in was ich mich da verstrickte, wäre vielleicht alles ganz anders ausgegangen. Dieses verdammte bekannte Unwissen.
»Ahmed, hör zu! Wenn ich nicht weiß, wo das Geld herkommt, dann wird das Ganze ziemlich gefährlich«, warnte Dick. Und er hatte recht. Ich musste plötzlich an meine Tante Baby denken, die Geldverleiherin, die in ihrem Zimmer im Shangri-la ermordet worden war.
»Es ist doch nur Hajji, Baby. Du kennst doch Hajji.«
»Den indischen Gangster?«
»Geschäftsmann.«
»Gott steh uns bei. Ruf einfach zurück, wenn du entschieden hast, was ich tun soll. Je weniger ich weiß, desto besser, würde ich sagen. Wenn ich nichts weiß, können sie mich auch nicht hopsnehmen.«
»Jetzt beruhige dich, Baby. Das wird schon. Und wenn nicht, überlegen wir uns was anderes.«
»Zum Beispiel One-Way-Tickets nach Venezuela.«
»Was für ein Spaßvogel! Du bist mir vielleicht einer, Dick. Ciao, ja?«
Da ich eine Rüge erwartete, versuchte ich schnell, mich zu erklären. Ahmed wollte es aber gar nicht hören. »Psst! ›Soll ich meines Bruders Hüter sein?‹, wie Kain einst zu Abel sagte. 51 Wir wollen uns nie über Geld streiten. Deshalb haben wir Dick als unparteilichen Buchhalter. Wir sind jetzt ein seriöses Unternehmen, Boyo. Ich rede mit Hajji.«
»Dem indischen Gangster?«
»Hör zu, ich hab mir schon Geld von Hajji geliehen, da hingst du noch bei deiner Mama an der Brust.«
Ahmed hatte ausnahmslos immer das letzte Wort. Dabei konnte er von philosophischen Höhenflügen blitzschnell zu solchen vulgären Seitenhieben abstürzen. Von französischen Bonmots über Bibelgleichnisse zu Titten und Arsch in zwei Sekunden. Es mit ihm auszuhalten, verlangte mir manchmal eine Menge Toleranz ab. Das war allerdings nichts gegen das, was ich hier im Niemandsland ertragen muss. Ich hatte nie lange andere Männer um mich, und es stellte meine Geduld allmählich auf die Probe. Toleranz? Ha! Damals hatte ich gar keine Ahnung, was ich alles tolerieren kann. An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass die Zustände hier im Lager jeden Tag unmenschlicher werden.
Gestern zum Beispiel – es war übrigens Kolumbustag – haben sie uns unsere Wasserflaschen weggenommen. Hier im Niemandsland bekommt eigentlich jeder eine Plastikwasserflasche, und die haben sie uns jetzt zur Bestrafung verboten. Und das nur, weil ein Insasse in der Nacht versucht hat, seine zu essen. Er hat die Flasche zusammengedrückt und darauf herumgekaut. Da es ein Stück Plastik ist, kam er durch Kauen allein natürlich nicht weit. Die Wärter nennen es unterstütztes Schlucken, glaube ich. Das bedeutet, erdrückte sich die Flasche mit den Händen in den Rachen. Er muss fürchterlichen Hunger gehabt haben! Die ganze Flasche hat er aber nicht geschafft. In den frühen Morgenstunden wachten wir davon auf, dass Sanitäter und Wärter zu seiner Zelle rannten. Vor dem Morgengebet wurde er abtransportiert. Ich sah ihn kurz röchelnd auf der Trage liegen, als sie die Flasche entfernt hatten und ihn wegbrachten. Sein Gesicht und sein Hemd waren blutverschmiert. Als hätte er sich selbst den Hals aufgeschlitzt.
Und jetzt muss der ganze Block dafür büßen. Plastik ist ab sofort verboten. Wir bekommen nur noch Styroporbecher. Win sagt, dass die auch damals am Anfang im Niemandsland benutzt wurden.
Mir ist es eigentlich egal, woraus ich mein Wasser trinke, aber die anderen reagierten recht ungehalten auf die Becher. Als die Wachen sie heute verteilten, ein Becher pro Zelle, protestierten die Häftlinge, beschimpften und bespuckten die Wachen. Der Protest war
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