Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
trank einen Schluck. »Ehrlich muss man sein. Anders geht’s gar nicht.«
»Das stimmt.«
»In unserem Geschäft wird Loyalität nicht gerade großgeschrieben, das kannst du mir glauben. Mich hat’s voll erwischt. Aber zuallererst bin ich verdammt noch mal ein Patriot. Ich meld mich freiwillig als Henker, wenn wir die Al-Qaida-Schweine haben. Verhandlung, Urteil – alles Zeitverschwendung. Dann mein Bruder, der Held … Und nach alldem steht das FBI bei mir vor der Tür, kannst du dir das vorstellen? Und dann haben sie mich noch festgenommen, als ich vom JFK-Airport abfliegen wollte. Hab die London Fashion Week komplett verpasst. Die haben mich nicht mal einchecken lassen. Der Typ am Schalter hat geguckt, als ob ich ihn verarschen will. In was für einer Zeit leben wir eigentlich? Ich bin jedenfalls dazu da, den ganzen Mist von dir fernzuhalten. Die Welt von heute ist jetzt nicht mehr deine. Solange du mich hast, brauchst du dir über nichts mehr Gedanken zu machen. Wo bleibt denn der verdammte Kellner? Soll ich hier verdursten?« Ben schnippte mit den Fingern, und der Kellner kam.
»Die Rechnung, bitte«, sagte ich und versuchte, unseren Abgang einzuleiten. Ich wollte nicht, dass Bens Nase noch röter wurde. Später erfuhr ich, dass er nur dann Scotch trank, wenn er über seinen Namensvetter redete.
»Blödsinn, wir nehmen noch zwei«, sagte er. Dann wandte er sich wieder mir zu. »Wir mussten eine Dreiviertelstunde auf den Tisch warten, dann können die uns jetzt auch noch eine Dreiviertelstunde länger bedienen. Auge um Auge, Zahn um Zahn, sagt man bei mir zu Hause.«
»In Queens?«, fragte ich.
»In Amerika, Boy. In Amerika.«
Er war genauso motiviert wie ich. Immer noch rannte ihm ein Klient nach dem anderen davon, aber er kämpfte deshalb nur noch entschlossener um seinen Ruf. Er war ein gerissener, knallharter und rundum anständiger Kerl. Er war forsch, frisch und furchtlos – seine drei Fs waren ihm sehr wichtig. Sein grobes, ledriges Gesicht hatte ein paar Stunden zu viel auf der Sonnenbank abgekriegt, und die Falten um seine Augen erzählten die Geschichte eines Mannes, der sich nicht so leicht geschlagen gibt.
Ben war doch genau wie wir alle einfach auf die Welt gekommen und hatte sich seinen Namen nicht aussuchen können. Und jetzt würde er mir zu meinem verhelfen.
Philip hatte im Sommer 2003 seine Boutique an der EckeHoward Street/Crosby Street eröffnet, wo Chinatown und das hippe Downtown zusammentreffen. Eröffnungszeremonie, Rogan, chinesisches Teehaus, schlechte Dim Sum und dann Philip Tang 2.0. Philip hatte gerade den Hunderttausend-Dollar-Preis des Council of Fashion Designers of America als bester Nachwuchsdesigner gewonnen. Er hatte Zac Posen ausgestochen, der Zweiter wurde. Als vertrautes Gesicht aus Manila und guter Freund sonnte ich mich mit in Philips Erfolg. Den Rest des Jahres half ich ihm bei seinen beiden bahnbrechenden Kollektionen Herbst/Winter und Frühjahr ’04. Bei seinen Shows saß ich mit Ben, Vivienne, Rudy Cohn und sogar Chloë in der ersten Reihe. Ben hielt mich im Arm wie seine neueste Eroberung, und wir flanierten durch die Zelte im Bryant Park, die Afterpartys im Hiro und im Masquerade. Er stellte mich Redakteuren und Einkäufern vor. Schon ein Jahr war es her, dass ich bei meinem Spaziergang über die 42 nd Street vor dem Sovereign Diner meinen Doppelgänger, den Menütafel-Mann, gesehen hatte. So hätte ich auch enden können! Doch ich habe mich zusammengerissen und so etwas nicht zugelassen. Ich würde keine wandelnde Speisekarte werden! Und jetzt hatte ich Ben und ein ganzes Team wichtiger Leute um mich herum, die mich vor so einem traurigen Schicksal bewahrten.
Ich arbeitete auch weiterhin an meiner eigenen Kollektion für den (B)oy-Launch im kommenden Winter. Wir planten eine kleine Show mit Laufsteg während der Fashion Week im Februar. Ben würde dafür sorgen, dass die richtigen Leute kamen. Und hinterher würde ich, je nachdem ob ich etwas verkauft hatte (was bei einer Erstlingskollektion unwahrscheinlich war, das wusste sogar ich), die Sachen, die am besten angekommen waren, in eine Strick-Kollektion umarbeiten und in Kommissionsläden verkaufen lassen. Es gab tatsächlich einen kleinen Markt für handgemachte Warejunger Designer. Leben konnte man davon nicht, aber man blieb im Gespräch. Und wenn irgendein Redakteur eine Story über neue New Yorker, insbesondere Brooklyner, Designer zusammenstellte, sorgte Ben dafür, dass ich darin vorkam.
Im
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