Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Laufe des Jahres kam Ahmed immer mal wieder im Atelier vorbei und schaute, wie es um seine Investition stand, seinen »Garten«, wie er sagte. »Jetzt guck dir mal die ganzen Kleider an! Wie schön unser Garten wächst! Hab ich nicht auf das richtige Kamel gesetzt? Zusammen erobern wir beide die Welt!«
Aber immer öfter verschwand er jetzt tage- und manchmal wochenlang. Ich wusste nie so genau, wo er gerade war. An einem Tag besuchte er mich, um sich die Kollektion anzusehen, am nächsten war er in Moskau oder Marrakesch. Ja, wirklich. Michelle nervte mich dauernd mit der Frage, ob ich ihm vertrauen könne. Aber sie nervte mich sowieso wegen so ziemlich allem, und wer war ich denn, dass ich mein Vertrauensverhältnis zu Ahmed hätte infrage stellen dürfen? Schließlich finanzierte er mein Label vollständig. Er hatte auch die verlassene Zahnstocherfabrik in Williamsburg aufgetan. Ahmed hätte sich eher Gedanken machen können, ob er mir vertrauen konnte. Schließlich hätte ich auch mit seiner Investition durchbrennen können.
Außerdem war ich ja nicht vollständig von ihm abhängig. Meine Arbeit an Philips Linie brachte genug Geld ein, dazu half ich noch ab und zu einen Tag in seiner Boutique auf der Howard Street aus und machte hin und wieder einen Gelegenheitsjob für Vivienne Cho.
Aber als 2004 vor der Tür stand und ich mit Ben Locations für unsere Runway-Show auskundschaftete, fehlte mir plötzlich das nötige Kapital. Und als ich ihn einmal wirklich brauchte, war Ahmed natürlich einen ganzen Monat lang verschwunden. Dann tauchte er plötzlich an einem Januarmorgen wieder bei mir auf. Er kam direkt vom Flughafen.
»Wo warst du?«, fragte ich. »Ich hab dich nirgends erreicht.«
»Russland. Spähmission mit den heutigen Kosaken. Rein geschäftlich. Wenn was draus wird, erzähl ich’s dir.«
»Wir müssen eine große Anzahlung für die Location der Show vorstrecken«, erklärte ich. »Irgendwo in der Gegend um die Seventh Avenue.«
»Wo liegt das Problem? Red mit Dick.«
»Hab ich doch. Er rückt nichts mehr raus.«
»Warum?«
»Keine Ahnung. Das ist der Moment für unser Label. Ohne Show haben wir gar nichts. Nur eine Kollektion, die keiner sieht. Dann können wir das Ganze vergessen.«
»Kein Problem, Boy. Wir rufen Dick sofort an. Wir regeln das. Und guck mich nicht so an.«
»Wie denn?«
»Als ob du kacken müsstest.«
Sofort hatten wir Dick Levine, Finanzprofi, am Handy und stellten auf laut. Es war trotzdem zu leise, deshalb mussten Ahmed und ich die Köpfe zusammenstecken und uns unangenehm verrenken.
»Dick?«, sagte Ahmed. »Hier ist Ami, Baby. Ich hab hier Boy Hernandez bei mir, unseren Designer.«
»Hör mit dem Baby auf«, erwiderte Dick. »Ich wusste doch, dass das kommt. Hast mich verpfiffen, was, Boychik ? Du kleine Ratte. Als ob das alles meine Schuld wäre.«
»Ganz ruhig, Dick. Wo liegt denn das Problem bei unserem Konto?«, fragte Ahmed.
»Wo das Problem liegt? Das kann ich dir sagen. Das Konto ist leer. Wir sitzen auf dem Trockenen. Boy hat Geld verpulvert wie ein Wahnsinniger.«
Das war eine maßlose Übertreibung.
Ahmed schaute mich an. »Stimmt das, Boy? Was Dick da sagt …«
»Ich musste einen Agenten anheuern. Einen guten. Ben Laden.«
»Wen?«
»Um Gottes willen«, entfuhr es Dick.
»Ben Laden. Nicht verwandt. Der beste Agent der Stadt. Wegen ihm bekommen wir die ganze gute Presse.«
»Du hörst doch, was Boy sagt, Dick. Er brauchte einen Agenten. Diesen Bin Laden.«
»Hab’s gehört. Na super. Bin Laden. Das reicht doch schon, um uns alle in den Knast zu schicken. Ich hab’s schon vor Augen. Dolce, Gabanna und Levine verurteilt wegen Steuerhinterziehung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Hört zu, ich sag’s einfach, wie es ist: Wir haben kein Geld mehr.«
»Warum?«, hakte ich nach.
»Warum? Er fragt, warum . Woher soll ich das wissen? Du lässt dir ja keine Quittungen geben. Bisher läuft unser Unternehmen rein über Bargeld, wer passt da schon auf, wo das Geld bleibt? Ich jedenfalls nicht. Ich hab’s dir schon mal gesagt, Boy: Du musst wie ein Schießhund auf deine Quittungen aufpassen. Wie ein Schießhund .«
»Wie ein Schießhund, Boy«, wiederholte Ahmed, der das Thema mir gegenüber einmal mit dem Kommentar »Quittungen – Tittungen« abgetan hatte.
»Okay«, erwiderte ich. »Aber ich hab von euch beiden auch nicht immer klare Ansagen bekommen.«
Dick sprach weiter: »Ihr beiden seid meine einzigen Klienten, die
Weitere Kostenlose Bücher