Bekentnisse eines möblierten Herren
wuchs die Andacht der Zuhörer. Genau darauf hatten sie gewartet. Das brave Kind mit dem bösen Dämon unterm Petticoat gewann dramatisches Profil, man sah ihn in den Fängen der Familie zum Standesamt schreiten, sah ihn als lebenslänglichen Bausparer und Schrebergärtner mit fünf Kindern. »Hier wird der Traualtar zur Guillotine«, warnte Hubert, »du lebst unter dem Glassturz zahlreicher Versicherungen, aber deinen Kopf bist du los.«
Nach diesem Menetekel gab es keine Fragen mehr. Das Kollektiv beschloß seine Rettung, bei diesem Thema hätte er nur gestört.
»Als Theaterkritiker sehe ich die Sache so: Wir sind im dritten Akt, jetzt hilft nur noch der >deus ex machina<«, konstatierte einer der Wolfgänge. Auf der Suche nach einem brauchbaren solchen gelangten sie auf dem Umweg über die laut Wohnungsordnung untersagten Damenbesuche nach 22 Uhr zu dem Schluß, daß in diesem speziellen Falle den »Deus« durch eine »Dea« zu ersetzen weit nützlicher sei.
Kurze Unterbrechung, um nach so viel Scharfsinn neue Getränke zu bestellen, dann formulierte Peter die gewonnene Erkenntnis für die Praxis.
»Pauli soll ihm Sylvia leihen. Sie hat den idealen Corpus delicti.«
»Und delectans!« fügte der kahlere Wolfgang mit pubertärer Gourmandise hinzu.
»Gut«, sagte Pauli, »ich bin kein Spielverderber. Als Antiquitätenhändler lebe ich sowieso vom Besitzerwechsel.«
»Kulturzuhälter«, brummte Hubert, der heute mehr als amüsierter Zuhörer fungierte.
»Also Sylvia geht mit Lukas...« Daniela unterbrach. »Wollt ihr nicht, bevor ihr so flott weiterbestimmt, vielleicht die Güte haben, Sylvia zu fragen, ob sie überhaupt dazu bereit ist.«
Die Männer sahen einander an wie Eisenbahn spielende Kinder bei Netzausfall. Sylvia schmollte mit den Schultern und setzte sich zurecht.
»Mit Lukas nach Hause? In Ordnung. — Eigentlich hättest du mir den Vorschlag schon vor zwei Jahren machen können — da war mir mal sehr danach.«
Damit fiel auch sie wieder in die Versenkung zurück. Die strategische Seite wurde erörtert.
»Was ist, wenn Frau Zier... dings Sylvia gar nicht entdeckt?«
»Diese Möglichkeit muß ausgeschlossen werden.«
»Angenommen!«
Man kam überein, in der Nacht noch einen Eilboten-Einschreibebrief an Lukas abzuschicken. Frau Zierholt würde wie immer die Post entgegennehmen und bei Lukas anklopfen. Und dann...
»Großartig!«
Und Lukas? Der saß in großer Weinruhe dabei und ließ sie reden. Vor dem Aufbruch sträubte er sich mäßig, schien aber, als er sich neben Sylvia im Auto wiederfand, mit allem einverstanden. Etwas mußte ja geschehen, was, war ihm bereits egal.
Säuberlich aufgedeckt stand das Bett in der Nische, zum Glück jedoch nicht vorgewärmt. Lukas schloß ab.
»Das hätte geklappt«, sagte er aufatmend.
»Ich hab’ richtig Herzklopfen.«
Noch in den Mänteln standen sie da und sahen einander an. Beide kannten sie Heimkünfte zum Behufe gemeinsamen Schlafs, und doch fühlten sie sich unter den obwaltenden Umständen geniert.
»Nett hast du’s hier«, sagte Sylvia, um etwas zu sagen. »Es geht. — Aber wollen wir nicht wenigstens unsere Mäntel ausziehen?«
Er nahm ihr das quadratische Kosmetikköfferchen aus der Hand, legte es aufs Bett und rückte den Sessel zurecht.
»Setz dich doch!«
Sie setzte sich, er hing die Mäntel an die Tür und machte sich auf der Kommode zu schaffen.
»Darf ich dir etwas anbieten? Einen Schnaps... und da sind noch ein paar Salzstangen.«
»Ja bitte, einen Doppelten.«
Lukas schenkte ein. Er hob das Glas.
»Wie sagt man eigentlich in einem solchen Fall?«
»Auf gute Zusammenarbeit, würde ich sagen.«
Sie stießen an ; das Gespräch drohte erneut abzusterben. »Möchtest du noch einen?«
Sie nickte.
»Dann ist’s aber genug«, sagte er nachgießend, »wir sind keine Lust-, sondern eine Notgemeinschaft. Menschen im Bahnhofsbunker, die auf Entwarnung warten. Nur durch Chaos intim.«
Sie antwortete nicht. Er wurde unsicher.
»Da haben wir uns auf was Schönes eingelassen!«
»Wer A sagt, muß auch — ppetitlich sagen«, tröstete Sylvia. »Wenn wir jetzt umkehren, blamieren wir uns sterblich. Außerdem bin ich viel zu müde dazu.«
Lukas sah auf die Uhr.
»Ja, wie machen wir’s jetzt?«
»Wenn du mich fragst, am besten zwanglos.«
»Ich kann ja im Sessel schlafen, wenn du willst.«
Sie lachte.
»Das ist lieb von dir, aber... ich tu’ dir wirklich nichts.« Jetzt mußte auch er lachen. Ein sehr befreites Lachen.
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