Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
nichts. Ein Gong verkündete das Ende der Pause.
    Gustl verteilte Zeichenblöcke und Malkästen, die sie in großen Mengen zu besitzen schien.
    »Wir wollen jetzt«, hob der frisch gestärkte Molch an, »das eben Gehörte in die Tat umsetzen und unbewußte Bilder malen, sogenannte Mandalas. Wenn ich Sie bitten dürfte, zuerst mit dem Zirkel einen Kreis auf Ihre Blätter zu ziehen.«
    Der Zirkel machte die Runde.
    »So. — Dieser Kreis begrenzt die innere Welt, und dahinein malt jetzt jeder, was er will, was ihm gerade einfällt, ohne festgelegtes Motiv, konkret oder abstrakt, mit den Farben, die ihm gefallen. Alles völlig unbewußt.«
    Die einsetzende Ruhe war diesmal echt. Da jeder mit sich beschäftigt, flitzten die Pinsel nach anfänglichem Zögern nur so über das Papier; von Strich zu Strich wurde es aufregender, immer schneller flogen die Atemzüge, der Kreis wuchs zum Bannkreis, zur magischen Figur. Ohne ihn hätte man sich verloren. Man fühlte sich plötzlich stark und wach, wie nach zehn Tassen Kaffee. Offen lagen die Seelen im Spiegel, voll heidnisch-christlicher Symbolik, Stammbäume des Wesens durch tausend Generationen, Vorstoß in die Weltseele. Ein Kollektiv war entstanden, wie es aus diesen grundverschiedenen Menschen nur noch die Todesangst formen konnte. Der Molch feixte aus dem Unterholz seiner Doktorwürde und schritt — ein fetter Satyr — von einem zum anderen.
    »Da haben Sie das innere Bild. Nun gilt es die Zeichen zu deuten.«
    Er begann bei Lukas, entschlossen, den Block der Verneinung, den er in ihm und Hubert fühlte, vom Jüngeren, Schwächeren her zu zerbrechen. Lukas hatte eine Art Totem gemalt, einen Dämon aus Braun, Grün, Rot und Gelb, vor schmalem hellblauem Hintergrund.
    »Sie zum Beispiel«, verkündete der Rächer, »...das ist ja hoch interessant! Viel Braun, viel Grün... Animalisches und Vegetatives also in der Überzahl und dazu noch die Fratze!« Ironischer Mund, überlegenes Auge. »Jung, kräftig, zweifellos künstlerisch begabt, aber noch ungeformt, ungestaltet... Dieser schmale hellblaue Rand! Hellblau ist der Himmel, das Geistige! — Da sehen Sie es ja selbst, das Geistige ist der gärenden Kräfte noch nicht Herr.«
    Und er begab sich zu den Neutren, die mit hochroten Backen sichtlich auf »viel Seele« hofften.
    Das Kollektiv zerfiel. Lukas empfand die Wertung brutal, ungerecht und — vor allen ausgesprochen — geschmacklos. Er zündete sich eine Zigarette an und beobachtete die Reaktionen der anderen. Überall Angst, Angst vor der Bloßstellung, vor der Verletzung. Aber gerade das schien den Molch zu befriedigen.
    »Wie immer dasselbe Problem: der Mann!« belehrte er die hochrote Ines. Sie fühlte Lukas’ Blick und machte sich an ihren Schuhen zu schaffen.
    Nach lächelndem Austausch einiger asiatischer Fremdwörter mit Alma und Gustl kam er zu seiner Undine. »Sehr nobel, mein Kind, sehr nobel«, und strich ihr mit seinen Krötenfingern über das Haar.
    Weiter zu Hubert.
    »Seltsam!« stellte er mit großer Fermate fest, »so etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.«
    Hubert saß reglos da, kein Zeichen von Erregung, nur das leise Glimmen der Zigarre.
    »Sie erlauben?« fuhr der Meister fort und hatte auch schon das Blatt ergriffen, um es allen zu zeigen. Doch es entfiel ihm und rutschte unter die Couch. Huhert machte keinerlei Anstalten, sein Geheimnis zu wahren und sich zu bücken. Der Meister fand dieses sowieso unter seiner Würde, und so dauerte es ein Weilchen, bis das Undinchen, von Peter unterstützt, das Konterfei der eigenbrötlerischen Seele wieder nach oben befördert hatte. Wie ein altgedienter Landpfarrer ein sakrales Requisit nahm der Meister das Blatt entgegen und drehte es um.
    Der Kreis war völlig ausgefüllt mit hellblauer Farbe. In der Mitte in leuchtendroten arabischen Ziffern die Zahl sechzig. Die Atmosphäre stand still. Keiner der Eingeweihten wagte dem Meister vorzugreifen. Der kostete seine Macht voll aus und wartete. Da nahm Hubert die Zigarre aus dem Mund. »Es stellt keine Geschwindigkeitsbegrenzung dar«, verkündete er profan. Auf der Stirn des Adepten schwoll eine Ader.
    »Vielleicht einen Wunschtraum?«
    »Nein, eine Visitenkarte.«
    Und nach einer gefährlichen Fermate, wie sie zuvor ihm zuteil geworden war, fügte er belustigt hinzu: »Streitbarer Geist von Sechzig. — Ich kenne das Spiel.«
    Der Mund des Molches blieb offen, wie der des Buddhas draußen in der Diele. Gustl sah ihr Studio in

Weitere Kostenlose Bücher