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Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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schüttelte sich unwillig, »was bist du denn?«
    »Selbständig.«
    Lukas war nicht gesonnen, sich durch diese Kollision mit aristokratischer Familiensolidarität die Laune verderben zu lassen. Merkwürdig, diese Mischung aus heutig und traditionsgebunden, dachte er. Schweigend legten sie den Rest der Fahrt zurück und erreichten gegen Mittag den Tannenhof.
    Der Anblick, vor allem des Interieurs, versöhnte Marie-Luise sofort. Die meisten Gäste — Leute, dieser Bezeichnung noch würdig — hatten schon gegessen und saßen auf der Terrasse, so daß er ihr in Ruhe alle Räume zeigen konnte, die Diele mit der Kassettendecke und dem mannshohen Nepomuk aus Stein, den Speiseraum in Jagdbarock, mit vielen Geweihen und den eigens nach den Maßen der Paneele aufgeführten Anbau mit der gotischen Tiroler Bauernstube.
    »Laß uns hier essen!« sagte Marie-Luise begeistert und rutschte auf der Wandbank an das Butzenscheibenfenster. »Hier sollten wir bleiben können. Zu dumm, daß morgen die Schule anfängt.«
    Die Kellnerin in Tracht brachte die Karte. Nach Aufgabe der Bestellung gab Lukas Marie-Luise einen Kuß und entschuldigte sich für einen Augenblick.
    Der Portier war ein bauernschlauer Gartenzwerg mit roter Nase und grüner Schürze. Ja, es sollte sein! Und mit einem Trinkgeld, dessen Höhe auf noch so verständliche Neugier einfach lähmend wirken mußte, drückte Lukas ihm die Autoschlüssel in die Hand, damit er inzwischen die Koffer hinaufbringe.
    Marie-Luise futterte aufgeschlossen.
    »Du wächst wohl noch?« fragte er, das hübsche Jagdmotiv auf ihrem Teller erneut unter Pommes frites begrabend, und bestellte als Abschluß den aufwendigsten Eisbecher. Wenn auch der Löwenanteil hinter ihren sahnegeränderten Lippen verschwand, sah er sich doch genötigt, obwohl dem Pfirsich-Melba-Alter längst entwachsen, die ihm mit Liebe verabfolgten Anteile anzunehmen. Lukas mochte Gefrorenes nicht; von jeher führte es bei ihm zu akustischen Komplikationen, doch jugendliche Begeisterung zeigt für chronische Leiden wenig Verständnis; wer nichts verträgt, ist Spielverderber. Sie hatte ihren Spaß daran, und er beugte sich der sanften Diktatur.
    »Ah, war das gut!« stöhnte Marie-Luise und rotierte reinigend mit der Zunge. »Weißt du, was ich jetzt möchte?«
    Lukas wußte es.
    »Jetzt möchte ich mich hinlegen, auf ein kühles, breites Bett, und du müßtest dich neben mich setzen und mir was Nettes erzählen, bis ich einschlafe.«
    »Das wird schwierig sein«, antwortete er mit großer Mimik. »Ich meine, ob mir eine Geschichte einfällt.«
    Er nahm ihre Hand und zog sie aus der Ecke. Sie sah ihn fragend an, doch er lächelte nur vor sich hin. So liebte sie ihn, väterlich, überlegen, ein Mann, der jedem Wunsch gewachsen war.
    »Zimmer sechs, Durchlaucht, das Gepäck ist schon oben«, meldete der Portier, schwer vom Trinkgeld gebeugt. Lukas erschrak, Marie-Luise wollte stehenbleiben, doch er zog sie fort.
    »Du hast ein Zimmer genommen?«
    »Nach deiner umfangreichen Bestellung fühlte ich mich sozusagen verpflichtet.«
    »Aber warum nennt er dich Durchlaucht?«
    »Das macht mein aristokratisches Profil«, antwortete er und wußte selbst nicht, wie er dazu kam.

    Zimmer sechs, ein fast quadratischer Raum, besaß das, was allein ein Fremdenzimmer behaglich macht, es war ganz mit Velours ausgelegt. Ein schöner alter Schrank, Stiche an den Wänden sorgten für wohnliche Atmosphäre. Die Bespannung der Sesselchen, der Volant des Toilettentisches sowie die Vorhänge vor der Waschnische und den Fenstern waren aus demselben Chintz. Marie-Luise blieb neben der Tür stehen. Das breite alte Bett hatte etwas aufdringlich Einladendes an sich.
    »Endlich mal ein Zimmer ohne die gräßliche Deckenbeleuchtung«, überspielte Lukas, auf die Appliken deutend. Er streckte die Arme nach ihr aus: »Na, hab’ ich das begabt gemacht? fetzt kannst du dich hinlegen mit deinem vollen Bauch.«
    Ihre Bedenken waren noch nicht völlig zerstreut.
    »Und warum hast du dann die Koffer ‘raufbringen lassen?«
    »Weil ich ein denkender Mensch bin. Vielleicht willst du dich nachher umziehen, du bist doch relativ reinlich.«
    Er schritt zum Fenster und zog die Vorhänge vor. »Sonne ist genau das, was schwere Esser nicht vertragen.«
    Als er sich umdrehte, lag sie bereits. Im Kleid. Er setzte sich auf eines der Sesselchen und beugte sich vor, um die Schuhbänder zu öffnen. Die zusammengekrümmte Haltung auf dem niedrigen Sitz löste in seinem

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