Bekentnisse eines möblierten Herren
sich das Stück nicht angesehen, doch Luischen strebte auch in der Kunst nach gepflegtem Milieu und guten Manieren, eine Erscheinung, die er mit Jugend und Erziehung entschuldigte. Jetzt fuhren sie zum »Späten Schoppen«, und Hubert war auch tatsächlich da.
»Was macht denn unser Ferienlager?« erkundigte er sich nach förmlicher Vorstellung. Lukas erzählte, unter Aussparung Sylvias, von den divergierenden Strömungen, von Gracia und dem Motorenlärm der Sommerfrischler auf Straße und See. Die gute Kathi kam, die Bestellung entgegenzunehmen.
»Ja, die Kathi«, begrüßte Lukas sie mit Handschlag. »Und schon wieder eine neue Frisur!«
Kathi strahlte. Ein Versuch, Luischen in den herzlichen Ton einzubeziehen, scheiterte. Kann man auch nicht von ihr verlangen, dachte er, ist doch alles neu für sie! Hubert verweilte noch beim Ferienlager, wie er es ironisch nannte.
»Jetzt weißt du, warum ich hiergeblieben bin.« Luischen unterbrach: »Ich fürchte, du wirst dir ein anderes Stammlokal suchen müssen, Purzel.«
»Wieso?«
»Eins, wo es Eis gibt!«
Lukas griff unter dem Tisch nach ihrer Hand und drückte sie beschwichtigend; Hubert klopfte die Zigarrenasche ab. »Man reist am besten mit unglücklichen Ehepaaren, mit Menschen, die einen Dritten brauchen, um einander zu ertragen. Glückliche wollen allein sein.«
Luischen spielte gelangweilt mit dem gußeisernen Herold, der das Schild mit der Aufschrift Stammtisch trug, ein gewichtiges Zierat, mit dem Kathi abends den Tisch für Hubert freihielt.
»Habt ihr den immer dastehen, Purzel? Ein gräßliches Ding!«
Hubert biß auf seine Zigarre.
»Jeder Mensch braucht seinen Kitsch, liebes Kind.« Lukas machte sich Vorwürfe. Wie immer mit Hubert war er sofort in eine Debatte geraten, die Luischen nicht interessieren konnte, da sie das Ferienidyll nur am Rande miterlebt hatte. Ihr Unwille war völlig verständlich. Er mußte ein Thema wählen, bei dem sie mitreden konnte. »Wir haben gerade »Mrs. Fitzpatricks Geburtstag’ gesehen. Kennst du das Stück?«
»Nein«, antwortete Hubert, »ich kenne nur »Das seltsame Erbe der Lady Sandringwood«. Es ist aber bestimmt dasselbe.«
»Sagen Sie das nicht«, entgegnete Luischen, »in »Mrs. Fitzpatricks Geburtstag« gibt es nicht einen Toten.«
»Dann war es vielleicht ein amerikanisches Stück. Tote sind das Standardmittel, um Engländer im Theater wachzuhalten.«
Artig, mit roten Backen, saß Luischen auf ihrem Stuhl und verteidigte sich tapfer.
»Es war jedenfalls sehr amüsant. Sie haben eine Menge hübscher Sachen gesagt, direkt aphoristisch.«
Hubert lächelte ein verschmitztes Onkellachen, blieb aber hart.
»Das täuscht, mein Kind. Die Sätze klingen zwar angenehm snobistisch, treiben aber weder die Handlung voran, noch sagen sie etwas aus.«
Jetzt ist sie einbezogen! atmete Lukas auf. Hubert legte die Zigarre weg.
»Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Erinnert sich in einer deutschen Komödie — schon selten — die Dame des Hauses an ihre Pflichten als Hausfrau — sehr häufig so steht
sie auf und sagt: »Entschuldigen Sie mich bitte. Ich muß mal nach dem Kaffee sehen.»— Gut. Im englischen Stück, bei gleichem Anlaß dagegen, setzt sie sich, nimmt eine Zigarette und erklärt: »Meine Herren, da Sie Gentlemen sind, werden Sie es als charmante Abwechslung ansehen, wenn ich Sie kurz unterbreche. Sie werden zumindest so tun. Teatime ist die Siesta des Dandys, auf die er selbst bei akutem Personalmangel nicht zu verzichten vermag. Ich hoffe daher, daß Sie es zu würdigen wissen, wenn eine Frau meines Alters und meiner sozialen Stellung selbst in die Küche schreitet, um . . und so weiter und so weiter.«
Jetzt mußte Luischen doch lachen.
»Trotzdem, ich mag den Ton einfach lieber als die Arme-Leute-Sprache in manchen Problemstücken.«
Hubert zog die Schultern hoch.
»Ich habe Sie gewarnt. Der Boulevardjargon ist der Sprach-Knigge des Parvenüs — Gemeinplätze für Platzmieter.«
»Das war wieder mal ein echter Hubert«, sagte Lukas und kam sich vor wie der Pointentrompeter nach einem Büttenwitzchen im rheinischen Karneval.
»Sie sind bestimmt wahnsinnig gebildet, und Ihre Ansichten mögen auch stimmen«, sagte sie, »aber nehmen Sie sich mit Ihrem scharfen Urteil nicht selbst viel Freude?«
»Keiner sieht mehr, als er aushält, liebes Kind.«
Doch Luischen gab nicht auf. Mit der Furchtlosigkeit des Laien durchstreifte sie das Neuland. »Das stimmt nicht! Mein Großvater war
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