Bekentnisse eines möblierten Herren
Kassettenaufteilung und Halbsäulen, Stuhl, Kommode, Stuhl, Standuhr, Korbtischchen mit Zimmerpalme. Links über ihm das sture Glasaugengeglotze eines ausgestopften Elchkopfes mit staubigem Geweih. Darunter in ovalem Ebenholzrahmen ein Frauenkopf, friderizianisch; Konsolentisch mit schwerem Silbertablett. Vor dem Geländer der Treppe ein kleines, stark zerschlissenes Sofa — Queen Ann.
Marie-Luise hatte ausgezupft.
»Kommen Sie, Herr Dornberg!«
»Die Herrschaften sind heim Tee in der Bibliothek«, verkündete Robert und strebte der Tür hinter dem Palmwedel zu. Der Anmarschweg führte durch einen Louis-seize-Salon in Beige, ein Eßzimmer in Empire und einen Kaminraum, dessen Inventar sich von einer gotischen Truhe bis zur ledernen Klubgarnitur lässig über ein Dutzend Stilepochen spannte.
Robert öffnete die letzte Doppeltür und meldete die Gäste. An einem runden Tisch saßen vier Personen. Noch ehe sie den Mund auf tat, erkannte Lukas die Mama. Hier war Handkuß allerdings erforderlich. Hoheit — etwa Mitte Fünfzig — trugen ein dunkelgrünes, hochgeschlossenes Kleid, geknotete Perlenkette von mittlerer Lassolänge, das graue Haar über alle Mode erhaben gescheitelt. Gesichtsschnitt und Haltung: Marie-Luise in dreißig Jahren. Links neben ihr eine steinalte Dame von der kränklichen Zierlichkeit einer französischen Marquise, mit schmaler Pappnase, dünnem Mund und stechenden Iltisaugen. Auf der anderen Seite ein alter Herr gleichen Profils, in tailliertem blauem Doppelreiher mit schmalen Schulterchen. Die vierte Person, mit dem Rücken zur Tür, war wiederum weiblich. Haaraufbau à la Jugendstil und unförmige Beine fielen ihm auf.
Marie-Luise knickste und küßte Mamachen die Hand.
»Du kommst spät, mein Kind!«
Dann begrüßte sie Tante Friederike, Onkel Karl-Eugen und die Dickbeinige, kurz Wanda genannt. Geschlossenen Sakkos, mit leicht vorgezogenem Spielbein harrte Lukas atmosphäregerecht auf Distance und zwinkerte dem abgehenden Robert freundlich zu.
»Und das ist Herr Dornberg«, flötete die Tochter in einem Ton, der ihm bisher fremd war. Lukas trat vor, doch just als er sich anschickte, auf dem ersten Fingerglied einen vorbildlichen Handkuß anzubringen, zogen Hoheit ihr schmales Geknöchel zurück. Lukas kannte diese Unart älterer Damen und beließ es bei der Andeutung. Tante Friederike zeigte sich aufgeschlossener, sie lächelte sogar. Von ihr führte ihn sein Instinkt zu Onkel Karl-Eugen. Knapper Druck unter Ehrenmännern, Blick ins Adlerauge und dann erst zu Wandas mütterlichem Patschhändchen. Sie war nur Gesellschaftsdame, wie sich später herausstellte. Hoheit verfolgten seine Bewegungen mit dem ausdruckslosen Ressentiment eines frierenden Schiedsrichters beim Eiskunstlauf. Die Pflicht war bestanden. Folgte die Kür. Lukas wurde zwischen Tante und Wanda placiert, Marie-Luise gegenüber neben ihren Onkel. Die Gelegenheit bot sich, doch sie würdigte ihn keines Blickes, worauf sein Auge zu dem kleinen Regal weiterschweifte, das hinter ihr an der Wand stand.
Aha! Daher der Name Bibliothek!
Robert kehrte in weißen Handschuhen zurück und reichte den zweiten Aufguß nervenstärkenden Mate-Tees. Hab’ ich ein Pech mit dem Getränk, dachte Lukas. Jetzt richteten Hoheit das Wort an ihn.
»Hatten Sie eine gute Fahrt?«
»Danke, Hoheit, ich hätte nur nicht gedacht, daß es so weit sein würde.«
Sie verstand seine Anspielung auf die Verspätung. »Nun, es freut mich, Sie kennenzulernen. — Herr Dornberg ist der Lehrer von Marilou.«
Damit war die Verwandtschaft über den Grund seines Hierseins ausreichend informiert.
»Lehrer ist vielleicht zuviel gesagt«, lächelte Lukas. Hoheit sahen sich fragend um.
»Aber Marilou, du hast mir doch geschrieben Die Tochter blickte mit roten Backen auf einen nicht ganz frischen Keks. Lukas konnte sich die sarkastische Antwort nicht verkneifen, die sich hier, völlig im Rahmen der Form, bot: »Gewiß hat Marie-Luise einiges bei mir gelernt. Ich arbeite nebenbei für einen Jugendbuchverlag; da konnte ich ihr einen Auftrag vermitteln.« Ihre Mutter tappt völlig im dunkeln, deshalb war sie die ganze Fahrt über so aufgeregt, dachte er.
»Jugendbuch? Sehr wichtig, sehr gut! Jugend muß erzogen werden!« schnarrte Onkel Karl-Eugen.
»Marilou hat ein Jugendbuch illustriert?« fragte Wanda. In Hoheits Mundwinkel rangen Stolz und Strenge miteinander.
»Und ist zu bescheiden, es zu sagen!«
»Es hat sich erst kürzlich ergeben«, sagte Lukas.
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