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Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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heiraten. Ich habe doch das Leben noch vor mir.«
    »War nur eine Frage, weil hier gerade so was zu haben ist. Mit Terrasse übrigens«, bemerkte er abschwächend und aufmunternd zugleich. Im Grunde aber war er enttäuscht. Das Klingeln des Telefons riß ihn in die Realität zurück.
    »Wer war’s denn?« fragte sie, nachdem er aufgelegt hatte.
    »Für dich. Der Verlag. Du sollst ein Kinderbuch illustrieren.«
    »Und das sagst du mir so, als ob du gerade mit dem Gerichtsvollzieher gesprochen hättest.«
    Sie war aufgesprungen, kam herüber und setzte sich auf seinen Schoß.
    »Ich habe einen Auftrag! Meinen ersten Auftrag! Freut dich das denn gar nicht, Purzel?«
    »Doch, doch.«
    Die Emotion war zu groß für sie. Sie küßte ihn.
    »Die werden Augen machen in der Akademie, wenn ich ihnen das erzähle! Die sind sowieso neidisch auf mich, weil sie immer nur von blöden Jünglingen abgeholt werden, während ich schon einen richtigen Mann habe!«
    »Um so unverständlicher, daß du den ausgerechnet Purzel nennst!«
    Plötzlich sah er die Beziehung von einer anderen Seite. Sie war stolz auf ihn, doch anscheinend nur, weil sie es vor ihren Freundinnen »schick« fand, einen ausgewachsenen Mann zu haben. Diese Betrachtungsweise — wenngleich mit ihrer Jugend entschuldbar — verlieh ihm die nötige Stoßkraft, um lange Geduldetes zu beseitigen. »Diese Tiere da auf dem Schreibtisch!« polterte er los. »Man geniert sich ja, wenn Geschäftsbesuch kommt.« Er schob sie beiseite.
    »Die bleiben da! Die hab’ ich dir geschenkt!«
    »Du! Du! Immerzu du! Pack deine Menagerie ein. Ich denke, du begrüßt es, daß ich ein Mann bin, dann laß mich gefälligst auch einer sein!«

    So schlecht Lukas zur Zeit auf Hubert zu sprechen war, sein Tagebuch vernachlässigte er nicht. Ein dumpfer, aber beharrlicher Instinkt trieb ihn dazu, es immer wieder hervorzuholen, nachzulesen und um neue Erkenntnisse zu bereichern. Selbst wenn diese zunächst auch als Irrtümer auftraten, so verwandelten sie sich doch im Laufe der Zeit in Aktivposten. Die graphische Darstellung, ihm schon von Berufs wegen geläufig, veranschaulichte im Auf und Ab der Impressionen das innere Bild mit der Übersichtlichkeit einer Fieberkurve. Mochte seine Art, sie zu lesen, mitunter auch von Stimmungen oder Wünschen beeinflußt schwanken, auf die Dauer ließ sich der Kompaß der Seele nicht ablenken. Norden blieb Norden.

    19. Juli: Ich lobe die Reife und suche die Jugend. Ich bin ein Idiot.

    Jedesmal zog er aus der Unmöglichkeit, den Wortsinn mit der Realität zu koordinieren, den Schluß, daß dieser Zwiespalt sein derzeitiges Problem sei.

    20. Juli: »Was uns im Leben am meisten nottut, ist ein Mensch, der uns zu dem zwingt, was wir können.« (Von dem amerikanischen Philosophen Emerson hat Hubert den Satz.)
    Hubert ist letztlich gescheitert, aber er ist heiter geblieben. Hut ab!

    Die Bekenntnisse seines Innern berührten ihn mitunter peinlich, er genierte sich für sich, erkannte aber an der Naivität des Aufgezeichneten die Ehrlichkeit seiner Bemühungen.

    24. Juli: Toleranz von Alma und Gustl: Die — bürgerlich gesprochen — widernatürliche Lebensgemeinschaft reagiert menschlicher als die durch Sitte pervertierten Normalen.

    31. Juli: Luischen zeichnet leidlich; es erfordert viel Geduld. Brauche dringend mehr Zeit für mich.

    10. August: Hoheit lassen bitten! Für geleistete Vermittlung in Sachen Kinderbuchillustration wird Bürger Dornberg zu Königinmutter befohlen.

    Als Lukas sie abholte, an einem Samstagmorgen, verriet ihm schon der Umstand, daß Tante Josephine plötzlich seinen Namen wußte, was es in dieser Welt bedeutete, von Luischens Mama eingeladen zu werden. Weitere Anzeichen für die hohe Gunst wurden ihm unterwegs zuteil.
    »Hast du deinen dunklen Anzug mit?« fragte Luischen. »Ich denke, wir fahren aufs Land.«
    »Ich habe dich extra gebeten.«
    Von nun ab schwieg sie und nagte, was sie sonst nie tat, an der Unterlippe. Der See von damals kam in Sicht. Lukas wollte halten, um an der historischen Stelle ein Bad zu nehmen, doch sie drängte zur Weiterfahrt. »Mamachen sieht sehr auf Pünktlichkeit!«
    »Dann fährt Mamachen wohl nicht selber Auto.« Und mit dem Air des Väterlichen legte er seine Hand auf ihr Knie, zog sie jedoch nach einem indignierten Blick sofort wieder zurück. Derlei biedermännische Frivolitäten schienen angesichts des Bevorstehenden unerwünscht. »Verzeih, wenn ich dir das sage«, brach sie hundert Kilometer

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