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Bel Ami

Bel Ami

Titel: Bel Ami Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Detlef Uhlmann
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lauter. Sie lockte noch die ganze Bar hierher.
    Ich sprang zu ihr, schüttelte sie und brüllte:
    »Hast du einen Krankenwagen gerufen?«
    »Sie ist tot, sie ist tot!«, wimmerte die hysterische Kuh. Rosi erfasste die Situation schneller. Sie sog scharf die Luft ein und rannte dann zum Telefon. Zehn Minuten später war der Notarztwagen da, und im Blaulicht sahen die Gesichter, die in die Damentoilette starrten, maskenhaft aus. Simone war bewusstlos. Ich hingegen nahm wie in Zeitlupe jede Kleinigkeit überdeutlich wahr: die Rufe der Sanitäter, die Mädchen, die sich weinend in den Armen lagen, Wolfgangs mächtiger Brustkorb, der sich so schnell hob wie nach einem Fünf-Satz-Match, der Handrücken mit den schwarzen Haaren, der Simones Haare aus der Stirn schob und die Sauerstoffmaske über ihren Mund stülpte. Die Blutlache war absurd groß für eine so zarte Frau. Automatisch folgte ich der Trage. Mit schwarzen Gurten war mein Mädchen darauf festgeschnallt. Weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz, war mein letzter, klarer Gedanke. An die Fahrt ins Krankenhaus, die medizinischen Fachausdrücke, die hin und her flogen wie Bälle übers Netz – warum musste ich ständig an Tennis denken? – und die Anweisung, nach Hause zu fahren, erinnerte ich mich nur noch dunkel. Ein Taxi wurde gerufen. Ich schlief wie ein Stein, erwachte am nächsten Morgen in unserem Ehebett, tastete nach Simone und versuchte, mir einzureden, ich hätte nur einen Albtraum gehabt. Aber sie war nicht da. Ich sprang aus dem Bett, ließ mich wieder ins Krankenhaus fahren und musste mir die unglaubliche Diagnose des Oberarztes anhören: Verlust des Embryos in der 21. Woche, Untergewicht, Mangel an Leukozyten, niedrigere Thrombozytenzahl, daher verlangsamte Blutgerinnung und der hohe Blutverlust, Verdacht auf Magersucht.
    Ich starrte ihn an und konnte es nicht fassen. Meine Frau war kerngesund und wunderschön.
    »Diese Erkrankung wird häufig unterschätzt, weil sich ihre Folgen nur schleichend zeigen. Ich nehme an, dass ihre Frau auch unter Amenorrhö leidet?«
    Was bitte? Von was redete dieser aufgeblasene Zwerg?
    »Sie war nur schwanger!«
    »Amenorrhö bezeichnet eine unregelmäßige Mensis, die sogar völlig ausbleiben kann. Häufige Folge der Magersucht. Wahrscheinlich auch die Ursache für die erschwerte Empfängnis. Hat sie mit ihnen nie darüber gesprochen?«
    Obwohl Simone vom Fischen gehen tatsächlich erst vor Kurzem erfahren hatte, musste ich nun gestehen, mich an nur wenige menstruationsbedingte Sexverweigerungen erinnern zu können. Aber sie hatte schließlich den Kalender geführt, nicht ich.
    »Nein.«
    »Gab es Stress in der letzten Zeit? Krankheiten, Todesfälle, die Arbeit, in der Ehe?«
    Irrte ich mich, oder sah ich in dem hässlichen Gesicht vor mir, das über einem Poloshirt von der Stange mich neugierig musterte, Schadenfreude?
    »Nicht, dass ich wüsste! Darf ich jetzt zu meiner Frau?«
    Simone war weißer als das Laken. Das wurde durch den grünen Krankenhaus-Einheitskittel nicht besser. Als sie mich sah, begann sie leise zu weinen.
    »Ich hab es verloren, Detlef. Unser Kind ist gestorben! Ich bin leer, ganz leer, alles ist leer.«
    Es klang wie ein Mantra, das sie seit Stunden vor sich hingesprochen hatte.
    Ich streichelte ihren zarten Arm und versuchte, die Kanülen dabei nicht zu berühren.
    »Hauptsache, du lebst, mein Schatz. Alles wird wieder gut!«
    »Sie haben gesagt, ich hab Magersucht!«
    »Alles Quatsch. Du hast nur zu viel gearbeitet!«
    »Ich wollte doch nur schön sein für dich. So schön wie die anderen. Katja hat gesagt, ich wäre fett und dass du mich deshalb bald satt haben würdest!«
    Ich war schockiert. Katja war Ewigkeiten her. Hatte sie sich seitdem die ganze Zeit hässlich gefühlt?
    »Hör zu, meine Süße. Ich liebe dich! Ich habe dich geliebt mit Kleidergröße 38 und auch mit 34. Du vergisst jetzt die blöden Ärzte, isst wieder ein bisschen mehr von deinen Torten und ruhst dich aus. Der Rest kommt dann von ganz allein in Ordnung.«
    Simone schaute mich an – oder etwas an der Wand hinter mir. Tränen liefen ihr ununterbrochen über die Wangen. Sie gab keinen Laut von sich, also redete ich weiter.
    »Und das mit unserem Kind ist zwar furchtbar, aber vielleicht hat es einen tieferen Sinn, den wir bloß nicht verstehen. Vielleicht war es krank und sollte nicht leben.«
    Ihre Lippen waren leicht geöffnet und so trocken wie Baumrinde.
    »Wenn du hier wieder raus bist, machen wir

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