Bel Canto (German Edition)
eine Toilettengarnitur mit goldenen Verschlüssen, in die ihre Initialen eingraviert waren: G. H. Giulia!
In immer gleicher Weise erzählte sie von ihren Pläne, ihren Erfolgen. Immer das gleiche: immer hat sie mich gefragt, ob ich nicht wisse, was Oliva mache. Immer in gleicher Weise sprach sie ihre Überzeugung aus, dass er sie liebt oder keine andere als sie geliebt hat. (Übrigens fragte michDoktor Oliva auch immer nach Giulia, wenn ich ihn traf). In immer gleicher Weise erzählte sie mir von ihren vergangenen Erfolgen, von kommenden, von Plänen und ihrem neuesten Plan, der endlich den Erfolg ihres Lebens bringen wird.
In immer gleicher Weise saß ich bei ihr im Hotelzimmer, ob im Luxushotel oder nur in einem kleinen Kurhotel. Man erzählt, es gab Zeiten, da Giulia nichts zu essen hatte, ich aber habe mich mit ihr nur in respektabler Umgebung getroffen. Auch in einem ärmlichen Zimmer – einmal in Mährisch-Ostrau – wird es Giulia zustande bringen, ihre Umgebung so herzurichten, dass Sie ihrer Erzählung über vergangenen und künftigen Erfolg, über den neuen Plan, der ihr in allernächster Zeit den großen Lebenserfolg bringen wird, beinah Glauben schenken.
In immer gleicher Weise stand ihre Toilettengarnitur auf dem Tisch, scheinbar nachlässig hingestreute Bücher: Renan, Pascal, Rochefoucauld. In immer gleicher Weise ließ sich Giulia über ihr Gefühls- und Seelenleben aus. Sie sagte das in der immer gleichen Weise, so dass ich später unwillkürlich nicht einmal mehr zuhörte, ich hörte begierig, was Renan, Rochefoucauld, Pascal erzählten. Sie redeten immer anders und Giulia erzählte immer in gleicher Weise über ihr Gefühls- und ihr Seelenleben, so dass ich mich nicht einmal mehr bemühte zuzuhören, und heute eigentlich nicht genau weiß, was sie gesagt hat.
Nur das weiß ich bestimmt, Giulia hat die Bücher nie gelesen, zumindest nicht mehr als eine Zeile, einen Absatz, eine Seite. Und so begleiteten sie sie ständig und ungelesen, durch ihr ganzes Leben, buchstäblich. Aus ihrer Wohnung in Wien, in Berlin nahm sie sie mit, überall hin, auf jede Reise. Wann hoffte sie, sie zu lesen?
Sie sprach über ihr Gefühls- und Seelenleben und ich hörte, der Verzweiflung, der Hoffnung, dem Gefühl, den Gedanken Renans und Pascals lauschend, gewöhnlich nicht mehr zu. Ich konnte den Blick von diesem Drama auf der Bühne des Hoteltisches, auf der Decke (die Giulia bei sich hatte, nicht immer die gleiche: einmal erinnere ich mich, war sie mit schwarzen Kreuzen bestickt, eine andere hatte Spitzen) zwischen den scheinbar achtlos herumliegenden Büchern Renans und Pascals und der Toilettengarnitur, nicht abwenden. Ich war immer wieder durch das Geheimnis dieser Szene, von diesem monumentalen philosophischen Drama gefesselt: der Zeit und des menschlichen Herzens. Ich saß immer wieder vor der Miniaturbühne, bedeckt mit einem weißen, von Stickerei oder Spitzen geschmückten Tuch, wo vor den Kulissen der Toilettengarnitur (einige Jahre lang mit goldenen Verschlüssen) die Zeit auftrat und der Mensch. Wie sollte ich zuhören und dem Aufmerksamkeit widmen, was Giulia erzählt?
Nur manchmal schreckte mich eine boshafte Anmerkung Rochefoucaulds auf: On parle peu quand la vanité ne fait pas parler. (»Man spricht wenig, wenn nicht Eitelkeit dazu veranlasst.«)
Und dann hörte ich wieder Giulia, wie sie über ihr Gefühls- und Seelenleben spricht, über ihre Erfolge, über vergangenen und künftigen Erfolg, über ihren neuesten Plan, der ihr in allernächster Zeit den großen Lebenserfolg bringen wird.
Ich erinnere mich nur, wie überrascht ich war, als ich auf ihrem Tisch anstelle der Maximen Rochefoucaulds das Buch Geschlecht und Charakter vorfand. Gegen meine Gewohnheit sprang ich vom Stuhl auf: was für eine Wendung?!
Aber Giulia erzählte wie sonst von ihrem vergangenen und künftigen Erfolg. Ich war damals zerstreuter als sonst. Warum hat Giulia die Kulissen dieses menschlichen Dramas gewechselt?
Wie sonst erzählte sie von ihrem Gefühls- und Seelenleben – warum sollte sie sich nicht dem Film widmen?
Ich schaute wohl überrascht auf, deshalb fügte Giulia hinzu: so albern ist es doch nicht, dass ich eine Heldin spielen möchte – ihre Charakterisierungskunst. Die Gagen und die Schauspielernamen, die mir Giulia damals als Beispiel nannte, habe ich schon vergessen. Ich schaute auf die neue Kulisse auf der Miniaturbühne des menschlichen Dramas und hörte nicht, was Giulia mir erzählt.
Sie sagte
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