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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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sieht jener Matteos Gesicht als Pikbube mit aufeinandergepressten Lippen, dem starren, verbitterten Blick. Valori erinnert sich an keinen seiner vierzig Mitschüler, dafür aber vortrefflich an die Aufgabe des Pikbuben in allen Spielen mit Matteo. Deshalb könnte Matteo stolz sein, dass er »Valori« sagen kann: – ohne lächerlich auszusehen, wie Valoris ehemalige Mitschüler, die vermuten, niemand wisse, dass Valori einfach keine Mitschüler hatte.
    Matteo grüßt Valori höflich (wie jeden anderen) mit dem tiefen melancholischen Gesichtsausdruck des Pikbuben. Matteo erinnert sich auch genau an alle diese Augenblicke mit Valori, wenn der Pikbube ins Spiel kam. Matteo ist ein hervorragender Whistspieler, aber nicht einmal das reißt ihn aus seiner Melancholie. Das könnte mühelos der bekannteste Spieler des Klubs, der berühmte Major Cybo zuwege bringen, aber Matteo hat für die Karten einen Abend pro Woche reserviert, nicht mehr und nicht weniger. Ihn erheitert nur, wenn er sich der ungewöhnlichen Vorfälle erinnert, die ihm beim Kartenspiel widerfuhren. Im Nuleuchtet dann sein Pikbubengesicht auf, zwischen den gewöhnlich zusammengepressten Lippen erscheinen für einen kurzen Augenblick die schönen Zähne und Matteos Mund und Augen zeigen ein schönes Lächeln. Eine unbekannte Hand wird am Tisch die Glückskarte ausspielen: Erstaunen, Lächeln, Glück! Aber schon wieder liegen die fest geschlossenen Lippen und der unzugängliche, fast starre Pikbubenblick auf dem Tisch; Matteo wird leicht auflachen: »Hören Sie, ich erinnere mich –«
    Valori erwidert Matteos Gruß mit einem blassblauen Lächeln (zufällig hat Valori blaue Augen), mit dem gefälligen blassblauen Druck der extrafein bedruckten Kartenrückseite, frisch aus der Verpackung gewickelt, ohne Knickecken, ohne Fingerabdrücke, ohne jede vom menschlichen Körper und seinen Gefühlen hinterlassene Spur. Alle zweiundfünfzig Blicke, Lächeln, Gesichter und Grüße spielen ihr Spiel.
    Hinzufügen muss ich, dass es Matteo nie, nicht einmal im Traum einfällt, aus seiner Bekanntschaft mit Valori irgendwelche Schlüsse zu ziehen; nie ist ihm eingefallen, sie auszunutzen. Mich nahm Valori allerdings nicht mal zur Kenntnis. Obwohl mein Vater nicht sein Mitschüler war, kannte er ihn doch gut, kannte auch meine Mutter gut. Als ob Valori mich, einen zweifelhaften Künstler, kennen könnte! Damit ist keineswegs gesagt, er interessiere sich nicht für Kunst, im Gegenteil, für eine eigene berühmte Sammlung pornographischer Drucke hat er, wie man sich erzählt, große Summen aufgewendet. Außerdem interessiert er sich für klassische Kunst, das, was auf dem Weltmarkt seinen Kurs hat. Zu allem Übrigen im Bereich der Kunst nimmt er denselben prinzipiellen Standpunkt ein,wie zu seinen Mitschülern. Wir können von ihm nicht das Gleiche wie von gewöhnlichen Leuten verlangen.
    »Valori!«, habe ich laut gesagt. Mir ist vollkommen egal, welche Erinnerung Matteo ans Licht Gottes ziehen wird. Meinetwegen auch etwas über Valori. Dabei ist mir eingefallen: ja doch, Matteo musste auch Ernesto Oliva kennen, sogar zu einer Zeit, als ich ihn noch nicht kannte, Matteo kennt doch auch Giulia! Endlich eine Gelegenheit, Matteos Erinnerungen mit wirklichem Interesse zu hören! Ein Versuch lohnt: »Matteo, Sie kannten doch Olivo, als er in Ihren Klub ging?«
    »Warten Sie, gleich fällt mir ein, in welchem Jahr das war – Olivo konnte damals vierundzwanzig, fünfundzwanzig gewesen sein. Ich traf ihn, als ich im Sommer meinen Onkel besuchte. (Oh, unerschöpfliches Gedächtnis Matteos!) Damals hielt sich dort eine große Gesellschaft auf, mich luden sie als jungen Burschen ein – ich war nicht mehr ganz so jung.« (Ach, schon damals hatte Matteo seine Erinnerungen?) Ich möchte Matteo nicht stören und bin angenehm überrascht, dass er wie durch Zauber meinen Wunsch erfüllt und Erinnerungen an den jungen Olivo erzählt:
    »Er war nicht mehr als vierundzwanzig oder fünfundzwanzig, ich war achtzehn, fühlte mich jedoch ihm gegenüber wie ein Junge. Er pflegte damals schon Umgang mit Valori, mit Cortese. (Cortese hat Olivo, als er nichts mehr zum Leben hatte, eine anständig bezahlte Stelle in seiner Zeitung verschafft). Cortese war eigentlich nicht viel älter als Olivo.«
    »Valori konnte sein Vater sein!«
    »Sie täuschen sich, er war nicht älter als vierzig. Wenn sie sich zum Abendessen setzten, riefen sie manchmal, ichsolle mich zu ihnen setzen, aber ich hatte den Eindruck,

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