Bel Canto (German Edition)
Rosenkavaliers anzieht. Ich sehe sie in knapp anliegender Seide in » Hol mich der Teufel « * , ich sehe sie im passenden Kleid, mit nacktem Rücken, mit einer Perlenschnur, im weißblauroten Kostüm, mit einem Feldblumenkranz auf dem Kopf. Ich sehe all die Kostüme, über die Frisur, über die nackte Brust, über die rosa Corsage mit den Strumpfbändern geworfen. Ich sehe in Giulias Augen, wenn sie zufällig meinen begegnen, dass sie meine Anwesenheit nicht bemerkt, ich bin für sie weniger als eine Garderobiere, die in diesem Moment Teil ihrer Bewegungen ist, Teil des Pulsierens, das ich in Giulias abwesenden Augen sehe.
Sie tritt auf die Bühne, tritt vor Sie, ich höre schon ihre Stimme, höre die Musik, noch sehe ich Giulia, ihre Blöße, vor mir, die Garderobiere hält noch ein Kleidungsstück in der Hand, warm von Giulias Körper. Die Garderobiere hört nicht, was auf der Bühne vorgeht, das ist nicht ihre Aufgabe. Sie schaut auf ihre Hände, die Giulias Körper, ihre Kleidungsstücke, die Schminke berühren sollen oder eine Handarbeit, wenn alles aufgeräumt ist und die Handlung auf der Bühne weitergeht. Wenn ich sie anspreche, hebt sie die Augen nur so viel, wie vonnöten ist, mir zu helfen, mich in meine Worte zu kleiden. Sie scheint sich nicht dafür zu interessieren, was auf der Bühne, bei den Besuchen in der Garderobe, geschieht. Ich höre das Orchester, ich höre das Klavier, ich höre Giulias Stimme: » Ecco l’istoria mia! «
RECITATIV
Wie sieht die Geschichte in Wirklichkeit aus, die sich vor der Kulisse abspielen wird, die Giulia immer aufzieht, wenn sie sich ihrer Jugend entsinnt? Von Giulia kann man das nicht erfahren; drängten wir darauf, würde sie uns mit ihrem bis zur Unkenntlichkeit bearbeiteten Schicksal blenden. Besser ist, so zu tun, als ob wir den Schneeverwehungen ihrer Gefühle glauben, wir werden uns auf die eigene Phantasie verlassen, ihr bruchstückhafte Bekenntnisse, die Giulia entschlüpfen werden, hinzufügen – denn jeder wird es, manchmal wenigstens, satt haben, sich in der Welt »verschneiter Dächer« zu bewegen. So oft Giulia vor mir dieses Liedchen zu singen begonnen hat, habe ich die Augen zugemacht und gesehen, wie die Geschichte der »verschneiten Dächer« in Wirklichkeit war.
Ich sah nicht mehr Giulias Schauspielergesicht, ein Gesicht, auf das man ebenso das Gesicht der »verschneiten Dächer« wie das Gesicht der »Wirklichkeit« schminken kann. Ich sah Giulias ungeschminktes achtzehnjähriges Gesicht mit dem ungeschminkten Blick des Rosenkavaliers in das Zimmer Doktor Zages treten.
Ihm zitterten die Hände; wie sollten sie ihm auch nicht zittern! Er liebte Julinka nicht so, dass er völlig das Gleichgewicht verloren hätte, liebte sie nicht mit der Gewissheit, sie um jeden Preis erobern zu wollen. Er war bis zuletzt unschlüssig. Er schwankte und die verschiedensten Gedanken ließen unentwegt seine Hände zittern.
Er sah ein schönes Mädchen vor sich, das zu ihm gekommen war, seine Geliebte zu werden. Bis zum letzten Augenblick hielt er sich vor Augen, dass er dieses Mädchen, Tochter aus einer sogenannten guten Familie, nicht so liebt, dass er sie heiraten möchte. Er will keine Erklärung abgeben, die ihn verpflichten würde, sie heiraten zu müssen. Das ging ihm nicht aus dem Sinn. Er zitterte, als Julinka in die Tür trat, bis zum letzten Augeblick zweifelte er, ob sie kommt, die Hände zitterten ihm vor Angst, nicht vor der Möglichkeit, sie könnte ihm zustehen, nicht vor Ungeduld, sondern wegen des Gedankens, er könnte bei dieser Gelegenheit zu einer Bewegung, einem Wort, einer Tat verführt werden, die ihn dazu verpflichten würden, sie zu heiraten. Warum fürchtete er diese Gedanken so?
Vielleicht war ihm Julinka nicht reich genug. Möglicherweise gab den Ausschlag, dass sie auf ein Liebesabenteuer aus war: Doktor Zage merkte, sie hat auch für andere Männer Augen. Der Hauptgrund war aber, dass ein vernünftiger Mann wie Doktor Zage, nie ein Mädchen zur Frau nehmen würde, das willens ist, seine Geliebte zu werden.
Wie ihm vor Angst, dass er sich etwas zuschulden kommen lässt, was ihn an das Mädchen binden würde, die Hände zitterten. Er sehnte sich zwar nach ihr, aber nicht so heftig, dass er vergessen hätte, gut darauf achten zu müssen, sich in nichts zu verwickeln, sich zu nichts zu verpflichten. Wie ihm die Hände zitterten! Aber Julinka nahm das als einen Beweis der Leidenschaft für ihre Person, weil sie schon damals das Störende
Weitere Kostenlose Bücher