Bélas Sünden
weißt du. Ich bringe es dir dann gleich rauf.«
Meta ging an ihre Arbeit, ich an meine. Während sie die Blumen in meinem Arbeitszimmer goss und einmal flüchtig mit dem Staubtuch über die Regale wischte, las ich in einem der Bücher. Es war die Abhandlung über die Folgen von Kindesmissbrauch, geschrieben von einer Psychologin. Da ich das Buch vor mir auf dem Tisch liegen hatte, konnte Meta unmöglich erkennen, wovon es handelte. Ich war wirklich sehr vorsichtig, solange sie in der Wohnung war. Obwohl mich der Gedanke reizte, sie mit dem Thema zu konfrontieren, nur einmal sehen, wie sie reagierte. Vielleicht doch das eine oder andere Detail von ihr persönlich erfahren. Aber wenn ich darüber nachdachte, kam ich mir gemein vor. Ich wollte auch Heinz keinen zusätzlichen Ärger machen, und den hätte er garantiert bekommen. Den Computer schaltete ich erst ein, als Meta das Zimmer verlassen hatte. Ich schrieb weiter an der Stelle, an der Heinz bemerkte, dass sein Schwiegervater nicht aus reinem Familiensinn zu Besuch kam. Zu der Zeit hatte ich Béla noch nicht gekannt. Heinz hatte Nachtschicht gehabt und um halb zehn die Wohnung verlassen. Aus irgendeinem Grund, vermutlich, weil ihn der Verdacht schon lange quälte, kam er dann nicht erst morgens kurz nach sechs heim, sondern nachts. Ungefähr halb drei war es gewesen. Ich hatte schon geschlafen, war früh zu Bett gegangen und hatte nicht gehört, dass Meta noch späten Besuch empfing. Wahrscheinlich war ihr Vater erst gekommen, nachdem die Kinder schliefen. Ich hatte die ganze Szene noch deutlich im Ohr. Zuerst das Poltern nebenan, wie Möbelrücken, dann Metas Schrei:
»Hör auf, um Gottes willen, du schlägst ihn ja tot.«
Die Geräusche im Treppenhaus, als fiele jemand die Treppe hinunter, was auch so war. Das Brüllen, das mehr ein Weinen war:
»Lass dich hier nie wieder blicken. Wenn ich dich hier noch einmal erwische, mache ich dich kalt.«
Noch einmal Metas Stimme:
»Hast du dir wehgetan, Papa?«
Ein Klatschen, das verdächtig nach einem Schlag ins Gesicht klang. Und wieder das Weinen:
»Halt bloß die Klappe, du Miststück. Hoffentlich hat er sich sämtliche Knochen gebrochen.«
Und nach einer Sekunde das erstickt klingende:
»Mach, dass du reinkommst und zieh dieses ekelhafte Ding aus.«
Ich saß aufrecht im Bett und fragte mich, was passiert sein mochte.
»Zieh dieses ekelhafte Ding aus!«
Damals hatte ich an Metas übliche Garderobe gedacht. Jetzt dachte ich eher an ein Stück Reizwäsche. Dass Heinz sie 231 zusammen im Bett angetroffen hatte oder auf der Couch, jedenfalls in einer eindeutigen Situation. Danach war Metas Vater eine Zeit lang heimlich gekommen, und Meta hatte sich schön gemacht für ihn. Zwei Tage nach der Lesung in Köln, zu der Sonja nicht hatte kommen können, weil sie angeblich abends mit Freunden lernen musste, brachte Marion eine neue Flasche Körperlotion. Natürlich hatte Meta sie morgens vergessen. Aber Marion kam gleich nach der Schule. Béla saß in seinem Arbeitszimmer über der Einkaufsliste. Er wollte am nächsten Tag zum Großmarkt. Ich arbeitete an einer Szene, die ich schon dreimal umgeschrieben hatte, weil sie mir nicht schlüssig erschien. Mein Schreibtisch war mit neuen Zetteln übersät, dazwischen lag der Bücherstapel. Ich hatte die Tür zu meinem Zimmer geschlossen und nicht gehört, dass Marion die Wohnung betrat. Sie kam mit Metas Schlüssel herein. Ich hörte nur plötzlich ihre Stimme aus dem Nebenzimmer.
»Ist Lisa nicht da?«
»Sie arbeitet«, antwortete Béla knapp. Er klang ein bisschen unwirsch. Nun ja, er hielt nichts von meiner
»schmutzigen Geschichte«
und zeigte das auch offen. Marion fiel sein Ton ebenso auf, sie interpretierte ihn jedoch falsch und konterte mit der in letzter Zeit für sie typischen Gönnerhaftigkeit:
»Ist ja schon gut. Reg dich bloß nicht auf. Ich werde sie nicht belästigen. Ich stelle ihr nur die Flasche ins Bad, dann bin ich schon wieder weg.«
Ich hörte ihre Schritte in der Diele. Sie kam zurück, ging noch einmal zu Béla und erkundigte sich spöttisch:
»Darf ich ihr wenigstens kurz guten Tag sagen? Oder hast du auch dagegen etwas einzuwenden? Ich würde ihr gerne zum Erfolg gratulieren.«
232 Was Béla ihr antwortete, verstand ich nicht. Gleich darauf klopfte sie bei mir an, öffnete die Tür, kam allerdings nicht sofort ins Zimmer. Ich ließ den Text vom Bildschirm verschwinden, obwohl es in dem Stück keine verräterischen Hinweise gab, aber sicher
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