Belgarath der Zauberer
verlassenes Vogelnest auszusehen.«
»Wie kam es denn dazu?«
»Ich habe keine Ahnung, und ich werde sie auch nicht fragen. Wenn sie lieber wie ein Mädchen aussehen will und nicht wie ein Heuhaufen, ist das ihre Sache.«
»Du hast heute eine seltsame Laune.«
»Ich weiß.« Ich sprang auf und krähte aus vollem Herzen.
Wir alle waren überwältigt, als Polgara am nächsten Morgen ins Zimmer kam. Das schlichte Kleid, das sie trug, war natürlich blau. Pol trägt fast immer Blau. Ihr langes Haar war streng nach hinten gekämmt und im Nacken geknotet. Jetzt da sie sauber war, konnte man sehen, daß sie sehr helle Haut besaß, ebenso hell wie die ihrer Schwester; und sie war atemberaubend schön. Es war jedoch ihr Auftreten, das uns alle erstaunte. Obwohl sie erst sechzehn Jahre zählte, hatte sie die Haltung einer Königin.
Riva und Anrak erhoben sich und verbeugten sich vor ihr. Dann stöhnte Anrak lautstark.
»Was hast du?« fragte ihn sein Vetter.
»Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht.«
»Das ist doch nichts Neues.«
»Aber diesen Fehler werde ich bereuen. Ich hätte bei der edlen Polgara vielleicht eine Chance, hätte ich nicht so rasch aufgegeben. Das Tal ist so abgelegen, daß sie noch keine anderen Freier hatte. Aber nun ist es zu spät, fürchte ich. Sobald wir nach Riva kommen, wird ihr jeder junge Mann auf der Insel den Hof machen.«
Pol schenkte ihm ein Lächeln.
»Warum hast du sie aus den Fingern schlüpfen lassen?« fragte ihn Riva.
»Du hast sie gestern doch gesehen, oder?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich hatte anderes im Kopf.«
Beldaran errötete. Sie beide hatten anderes im Kopf.
»Nehmt es mir bitte nicht übel, edle Polgara«, bat Anrak meine älteste Tochter.
»Davon kann nicht die Rede sein, Anrak«, erwiderte sie. Es schien ihr zu gefallen, mit ›edle Polgara‹ angeredet zu werden. Jetzt wird sie überall so angesprochen-, aber ich glaube, es wärmt ihr jedesmal das Herz, wenn sie es hört.
»Nun«, sagte Anrak, und er wählte seine Worte mit Bedacht, »die edle Polgara hat sich nicht viel um Äußeres gekümmert, als ich sie zum erstenmal sah. Ich glaube, sie ist eine Zauberin – wie ihr Vater. Natürlich ist er ein Zauberer, keine Zauberin; aber ihr wißt schon, was ich meine. Zauberer sind schwer zu durchschauen, wie man weiß, und wahrscheinlich dachte sie schon seit einigen Millionen Jahren über irgend etwas nach, und…«
»Ich bin erst sechzehn Jahre, Anrak«, verbesserte Pol ihn nachsichtig.
»Na ja, das weiß ich, aber Zeit hat für euch eine andere Bedeutung als für uns. Ihr könnt die Zeit anhalten und wieder beginnen lassen, wenn ihr wollt.«
»Können wir das, Vater?« fragte sie mich neugierig.
»Das weiß ich nicht.« Ich schaute Beldin an. »Können wir?«
»Nun, theoretisch ginge das wohl«, erwiderte er. »Belmakor und ich haben einmal über diese Möglichkeit gesprochen; aber wir kamen überein, daß es keine gute Idee sei. Man kann zuviel durcheinanderbringen – eine Zeit an einen falschen Ort setzen. Es wäre gewiß schwierig, alles wieder richtig zusammenzufügen, und eine falsche Zeit kann man nicht am falschen Ort lassen.«
»Warum nicht?«
»Weil du dann an zwei Orten gleichzeitig wärst.«
»Warum geht das nicht?«
»Weil das paradox wäre, Belgarath. Belmakor und ich waren uns nicht sicher, was dann mit dem Universum geschieht Vielleicht würde es zerreißen oder einfach verschwinden.«
»Ich würde das nicht tun.«
»Ich wollte es auch nicht herausfinden.«
»Jetzt siehst du, wie geheimnisvoll diese Leute sind«, sagte Anrak zu seinem Vetter. »Nun, die edle Polgara war in einen Baum geflogen, und sie zauberte dort wohl. Ich schlug ihr vor, mich zu heiraten
– da ihre Schwester dich heiraten würde, und Zwillinge tun ja gern alles gemeinsam. Ich glaube, ihr gefiel die Idee nicht sonderlich; deshalb drängte ich sie nicht weiter. Ehrlich gesagt war sie nicht sehr ordentlich angezogen, als ich sie damals sah.« Er hielt inne und blickte Pol verwirrt an.
»Ich war verkleidet Anrak«, half sie ihm.
»Wirklich? Warum?«
»Es war eines dieser Zauberdinge, von denen du gesprochen hast.«
»Oh, das! Es war eine sehr gute Verkleidung, edle Polgara. Ihr habt wirklich schrecklich ausgesehen.«
»Wir sollten es dabei belassen, Anrak«, riet ihm Beldaran. »Ich schlage vor, wir frühstücken und packen dann. Ich möchte endlich mein neues Heim sehen.«
Später am Tag stachen wir in See und erreichten zwei Tage darauf Rivas Stadt.
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