Bell ist der Nächste
zur Seite des Hauses hinausging, war hell erleuchtet.
Ich wollte gerade die Einfahrt betreten, als ich eine Bewegung ein Stück entfernt auf dem Gehsteig registrierte. Eine schattenhafte Gestalt, die hinter einen Baum schlüpfte.
41
Sie wartete auf mich, so unbewegt, als wäre sie aus dem Boden gewachsen.
»Spielen Sie Verstecken?«, sagte ich.
»Ich hab mich noch nicht entschieden.«
»Wie sind Sie denn gekleidet?«
»Ich glaube nicht, dass das von Bedeutung ist.«
»Levis und Sandalen. Nicht sehr senatorenhaft.«
»Ich bin noch keine Senatorin.«
Die Jeans waren verblichen. Das T-Shirt hatte einen Riss am Hals und war mit dem Logo der University of Michigan bedruckt. Ich bekam gerade eine Ahnung davon, wie Callie Spencer wohl als Jurastudentin von Anfang zwanzig ausgesehen haben mochte.
»Sie sind mir gefolgt«, sagte ich. Eine brillante Schlussfolgerung. Ich konnte ihren silbernen Ford sehen, der an der Straße parkte. Ich war so beschäftigt damit gewesen, Jay Casterbridge zu verfolgen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass mir selbst jemand gefolgt war.
»Sie sind meinem Mann gefolgt«, sagte sie. »Warum?«
»Ich suche nach Lucy Navarro.«
Bislang war ihr Tonfall ernst gewesen, sodass ihr Lachen jetzt sehr überraschend kam.
»Und Sie glauben, dass Jay sie hat?«
»Ich hätte schon früher daran denken sollen. Wer auch immer Lucy entführt hat, fühlte sich von ihr bedroht. Sie hat immer wieder Fragen wegen des Bankraubes gestellt. Was hat Jay vor siebzehn Jahren getan?«
»Er hat Jura studiert«, sagte sie und trat so nahe an mich heran, dass sie mein Gesicht mustern konnte. »Sie glauben, dass Jay der fünfte Bankräuber war?«
»Warum nicht? Floyd Lambeau hat idealistische Studenten rekrutiert. Ihm gefiel der Gedanke, dass sie so korrumpierbar waren. Ich bin sicher, er hätte seine helle Freude daran gehabt, den Sohn eines Senators dafür anzuwerben, das Fluchtauto zu fahren.« Ich wartete einen Moment lang. »Es würde auch erklären, warum es vertuscht wurde.«
»Was wurde vertuscht?«
»Ihr Vater hat nie eine Beschreibung des Fahrers gegeben. Vielleicht, weil ihn ein Senator der Vereinigten Staaten gebeten hat, es nicht zu tun.«
Sie hob die Hand, tastete an dem Riss ihres T-Shirt-Kragens entlang. »Das ist eine faszinierende Theorie. Bin ich bei dieser Version auch vertreten, oder komme ich ungeschoren davon?«
»Ich habe das noch nicht ganz zu Ende gedacht«, sagte ich. »Aber Sie sollten jetzt nach Hause fahren.«
»Warum?«
Ich zeigte auf das Haus. »Ich werde jetzt hineingehen. Und ich glaube, es ist besser, wenn Sie nicht dabei sind.«
Wieder lachte sie. »Ich glaube nicht, dass ich jetzt wegfahren kann.«
»Ich mache keine Witze.«
»Ich auch nicht. Wenn mein Mann dort drinnen eine Reporterin gefangen hält, dann möchte ich das ganz gerne wissen.« Sie schlüpfte aus ihren Sandalen und ging barfuß auf das Haus zu. Ich musste mich beeilen, um sie einzuholen.
»Sollen wir hereinplatzen«, flüsterte sie, »oder sollen wir uns erst ein bisschen umschauen?«
Ich wollte schon antworten, aber sie hielt sich einen Finger an die Lippen. Ich folgte ihr in der Dunkelheit, vorbei an der Vorderseite des Hauses, dann blieben wir einen Moment an der Einfahrt stehen.
Es war nach wie vor nur das Fenster seitlich erleuchtet. Die Vorhänge waren leicht zurückgezogen, und der Spalt war groß genug, um hindurchsehen zu können, wenn man auf der richtigen Höhe war. Und das Fenster war etwas erhöht.
Callie berührte mich am Arm. Zeigte auf eine Abfalltonne aus Plastik, die an der Garagenwand lehnte.
Ich holte die Tonne herbei und stellte sie umgedreht unter das Fenster. Fragend blickte ich sie an. Mit einer Geste bedeutete sie mir: nach Ihnen.
Ein letzter Blick nach links und rechts. Niemand auf der Straße. Das Haus nebenan schien verlassen.
Ich stellte in aller Ruhe meinen linken Fuß auf die Tonne und stieg Halt suchend hinauf. Durch den Spalt zwischen den Vorhängen sah ich einen Küchentresen. Schränke aus dunklem Holz, einen Geschirrspüler aus rostfreiem Stahl. Arbeitsplatten aus Granit. Ein Radio, das unter einem der Hängeschränke angebracht war, spielte leise.
Jay Casterbridge stand vor dem Geschirrspüler. Baumwollhemd und graue Hose. Bei ihm war eine Frau – aber nicht Lucy Navarro. Die Frau war groß und dünn. Ich hätte ihre Rippen zählen können, wenn ich gewollt hätte, denn Casterbridge hatte ihr die Bluse ausgezogen und machte sich gerade an ihrem BH zu
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