Bell ist der Nächste
Hinter dem Haupthaus lag noch ein Gästehaus, in dem sie sich oft aufhielt – das hatte Lark in einer Zeitschrift gelesen.
Er fuhr einmal um den Block, und als er wieder vor dem Haus vorbeikam, sah er, dass hinter dem Van auf der Auffahrt noch ein Wagen parkte. Eine Frau ging auf die Haustür zu. Ihre Haare leuchteten in seidigem Schwarz, und eine Sekunde lang dachte er, es wäre Callie Spencer. Aber Callie hatte kurze Haare, sie reichten ihr kaum über die Ohren. Diese Frau war außerdem größer, und ihre Haut war nicht so gebräunt.
Er fuhr langsamer. Jetzt wusste er, wer sie war und wann er sie schon einmal gesehen hatte: am Abend, als er auf Sutton Bell losgegangen war. Sie war als Polizistin im Krankenhaus gewesen.
15
Auf Elizabeths Klopfen hin öffnete sich die Tür. Die Frau, die darin auftauchte, hatte weiße Haare und ein faltiges, aber hübsches Gesicht. Sie stellte sich als Ruth Spencer vor, Harlans Frau und Callies Mutter, und führte Elizabeth sogleich nach oben in das Atelier ihres Mannes.
Im Haus war es kühl, obwohl die Temperaturen draußen auf weit über dreißig Grad gestiegen waren. Elizabeth vermisste bereits das mildere Klima in Sault Sainte Marie. Als David und sie morgens in Richtung Süden aufgebrochen waren, hatte es sogar leicht geregnet. Mit einer kurzen Pause hatten sie die Strecke in sieben Stunden zurückgelegt, und es war immer heißer geworden.
Die Fahrt nach Norden hatte mehr Fragen aufgeworfen, als sie beantwortet hatte, und Owen McCaleb hatte Elizabeth klargemacht, dass sie in Ann Arbor gebraucht wurde. »Wir können uns jetzt nicht um die Dawtreys kümmern«, hatte er gesagt. »Wir müssen uns auf Kormoran und Bell konzentrieren.«
Als einen ersten Schritt hatte Elizabeth Harlan Spencer angerufen, der bereit gewesen war, sie zu empfangen. Sie hatte David nach Hause gefahren und war selbst gerade so lange geblieben, wie sie brauchte, um zu duschen und sich frische Kleidung anzuziehen. Jetzt folgte sie Ruth Spencer in einen großen Raum mit hohen Fenstern.
An einer Seite des Ateliers stand gegen die Wand gelehnt eine Reihe von Gemälden. Es waren Landschaften und Stillleben von Blumen. Einige realistisch, fast fotorealistisch, andere so vage, dass sie schon fast abstrakt wirkten. Ein orangefarbener Sonnenuntergang unter einem tiefblauen Himmel. Die strahlend gelben Blütenblätter einer Narzisse.
Die Raummitte wurde von einem Tisch beherrscht, auf dem Pinsel und Tuben mit Ölfarbe lagen. Daneben stand eine Staffelei, auf der sich ein noch unfertiges Bild befand. Harlan Spencer steckte seinen Pinsel in eine Porzellantasse, wischte sich die Hand an einer Schürze ab, die in seinem Schoß lag, und fuhr mit seinem Rollstuhl durch den Raum, um Elizabeth zu begrüßen.
»Sie entschuldigen«, sagte er. »Ich war eine Woche lang unterwegs, und ich vermisse meine Farben, wenn ich mehr als ein paar Tage ohne sie auskommen muss. Würden Sie sich lieber unten mit mir unterhalten, oder draußen im Garten?«
»Weder noch«, sagte Elizabeth. »Hier passt es mir wunderbar.«
Ruth Spencer hatte einen Stuhl gebracht und war schon wieder verschwunden. Harlan Spencer rollte seinen Rollstuhl an den Tisch, wo zwischen den Pinseln und Farbtuben ein Tablett mit Eistee stand. Während er zwei Gläser füllte, bemerkte Elizabeth ein Gemälde, das ihr zuvor entgangen war. Es hing in einem Holzrahmen an der Wand. Das Bild war vertraut: ein Porträt von Callie Spencer.
»Das ist eine meiner frühen Arbeiten«, sagte Harlan Spencer.
Elizabeth setzte sich und nahm das Glas, das er ihr anbot. »Sie haben angefangen zu malen, nachdem Sie –« Sie führte den Satz nicht zu Ende.
»Ja«, sagte er. »Danach. Als junger Mann habe ich mich überhaupt nicht für Kunst interessiert, und wenn mir irgendjemand erzählt hätte, ich würde Maler werden, hätte ich ihn ausgelacht. Aber ein Schuss in den Rücken bringt einen dazu, manche Dinge zu überdenken.«
Er hatte eine tiefe, volle Stimme, die Stimme des Sheriffs, der er einmal gewesen, nicht die des Künstlers, zu dem er geworden war. Er saß aufrecht in seinem Rollstuhl und hielt seine breiten Schultern gestrafft. Sein offener Hemdkragen brachte einen sehnigen Hals zum Vorschein, und die Muskeln seines rechten Armes waren deutlich erkennbar. Sein linker Arm lag auf der Seitenlehne, mit einer Stütze versehen, sodass seine Finger die Schalthebel des Rollstuhls bedienen konnten. Seine Beine unter dem Stoff seiner Hose wirkten lang und verkümmert. Seine
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