Bell ist der Nächste
Casterbridge.
Der Senator war weit über siebzig. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie: Casterbridge Realty besaß im ganzen Staat Immobilien, die vermietet wurden. Als junger Mann war er zur Armee gegangen und hatte als Hubschrauberpilot zweimal Dienst in Vietnam geleistet.
Er hatte vierzig Jahre lang für die Regierung gearbeitet, einige davon im Senat, wo er sich für die Rechte der Veteranen einsetzte. Er saß im Geheimdienstausschuss, war Mitglied des Komitees für die Streitkräfte und Vertrauter mehrerer Präsidenten gewesen. Es hieß, dass er ein wichtiger Geheimnisträger in Washington war. Gleichzeitig galt er als verschwiegen, hatte nie eine Autobiografie geschrieben und nur selten Interviews gegeben.
Ich hatte ihn noch nie gesehen und fand, dass er erschöpft aussah. Sein Gesicht wirkte ausgezehrt, und sein Anzug schlotterte. Die Adern auf seinen Händen, die er über dem Bauch gefaltet hatte, traten hervor. Er hatte die Beine ausgestreckt und einen dünnen Knöchel über den anderen geschlagen.
Eine jüngere Version des Senators stand mit einem Glas Scotch in der Hand in der Nähe der Bar. Jay Casterbridge hatte einiges vom Aussehen seines Vaters geerbt. Er hatte die gleiche Nase und dichtes Haar, das allerdings noch schwarz war. Sein Gesicht war voller, und er war etwas kräftiger als sein Vater, obwohl man ihn nicht als dick bezeichnen konnte.
Ich beobachtete ihn, wie er von seinem Scotch trank. Er war im Gespräch mit einer Frau in einem roten Kleid, die Dekanin irgendeines Fachbereichs an der Universität war. Ich fand, dass er ein bisschen schwermütig wirkte, gerade so, als hätte er es vorgezogen, seinen Drink irgendwo anders einzunehmen.
Ich hatte in einer Zeitschrift ein Porträt über Jay Casterbridge gelesen, und ich wusste, dass man von ihm erwartet hatte, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und in die Politik zu gehen. Alle paar Jahre kam das Gerücht auf, dass er für den Kongress kandidieren wolle, aber es wurde nie mehr daraus. Er war Partner in einer Kanzlei in Lansing, vor allem aber hatte er die Geschäftsführung von Casterbridge Realty übernommen. Irgendwelche politischen Ambitionen hatten sich bislang darin erschöpft, Callie Spencer zu heiraten.
Callie Spencer war der Grund für meine Besorgnis. Sie stand jetzt direkt vor einem der großen Fenster. Weil der Raum hell beleuchtet war und es draußen dunkel wurde, zeichnete sich ihre Silhouette auf den Scheiben deutlich ab. Auch von der Straße wäre sie jetzt ohne Weiteres zu erkennen. Wenn der Mann im karierten Hemd unten stand, konnte er locker einen Schuss abfeuern, und die einzige Vorwarnung wäre dann das Klirren von zersplitterndem Glas.
Am liebsten wäre ich zu Callie Spencer hinübergegangen und hätte sie zu Boden gerissen, bevor ein Unglück passierte.
Aber ich blieb, wo ich war, und beobachtete sie. Sie trug ein weißes Kleid mit einem schwarzen Gürtel um die Taille; es ließ ihre Arme unbedeckt und auch ein gutes Stück ihrer Beine. Ich hatte gesehen, wie sie ihre Runde gedreht und mit den Gästen geplaudert hatte. Sie neigte dazu, nahe an die Menschen heranzutreten, und an irgendeinem Punkt legte sie ihnen die Hand auf die Schulter, eine kleine vertraute Geste.
Jetzt sprach sie gerade mit Amelia Copeland. Diese stand einer Stiftung vor, die Geld für engagierte Theatergruppen und nichtprofitorientierte Radiosender bereitstellte. Die beiden standen ein wenig abseits.
Amelia Copeland fasste Callie am Ellbogen. Unauffällig trat ich ein wenig näher, um mitzuhören, worüber sie sprachen.
»Meine Liebe, das ist doch aussichtslos. Gib auf.«
»Ich glaube, ich mache noch ein bisschen weiter, Amelia. Zumindest bis zum Herbst.«
»Aber es ist nicht möglich. Du bist viel zu jung.«
Callie lächelte höflich. In ihrer linken Hand hielt sie ein Glas Rotwein, das sie bislang völlig vernachlässigt hatte. »Darüber sollten wir doch die Wähler entscheiden lassen«, meinte sie.
»Aber verstehst du nicht, das liegt gar nicht in ihrer Entscheidung«, erwiderte Amelia Copland. »Das ist eine juristische Frage. Ich bin überrascht, dass du nichts davon weißt. Vermutlich wollte man dich schonen.«
»Also, das ist doch nett.«
»Aber es steht in der Verfassung. Du bist nicht alt genug, um Senatorin zu werden. Du musst mindestens fünfunddreißig Jahre alt sein.«
Callies Lächeln wurde ein wenig breiter. »Bist du dir da ganz sicher?«
»Ziemlich sicher, meine Liebe.«
»Wenn das stimmt, dann hätte
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