Bell ist der Nächste
Manuskripts lag an ihrem Platz. Als ich die Schublade wieder schloss, nahm Lucy auf dem Sessel mir gegenüber Platz. Sie ließ ihre Tasche auf den Boden fallen.
»Geben Sie es mir«, forderte ich sie auf.
»Was?«
»Sie wissen, was ich meine. Das Manuskript.«
»Ich hab es zurückgelegt.«
»Sie haben sich eine Kopie gemacht.«
»Dazu hatte ich gar keine Zeit.«
»Ich habe den Kopierer angefasst. Das Abdeckglas ist immer noch warm.«
»Das Glas ist warm. Sie sind verrückt, Loogan. Was machen Sie eigentlich so spät hier?«
»Ich komme manchmal her, wenn ich nicht schlafen kann.«
»Wieso können Sie nicht schlafen?«
»Ich fange an, über die ganzen Probleme auf der Welt nachzudenken. Werden Sie mir die Kopie geben, die Sie gemacht haben, oder muss ich die Polizei rufen?«
»Ich dachte, Sie hätten sie schon gerufen.«
Ich verdrehte die Augen.
»Sie haben nur gespielt?«, sagte sie. »Wussten Sie, dass ich es bin, die sich im Abstellraum versteckte?«
»Wenn ich gewusst hätte, dass Sie es sind, hätte ich nicht versucht, mit fünfhundert Blatt Recyclingpapier auf Sie einzudreschen. Geben Sie mir das Manuskript, Lucy.«
»Ich sagte Ihnen schon, ich habe keine Kopie gemacht. Ich habe den Kopierer angestellt, aber er war immer noch am Warmlaufen, als ich hörte, wie jemand aus dem Fahrstuhl stieg. Ich hatte kaum Zeit, ihn wieder auszuschalten und mich im Abstellraum zu verstecken.«
Fast hätte ich ihr geglaubt. Vermutlich lag das an dem gelben Kleid. Was soll man schon Schlechtes von einer Frau denken, die ein gelbes Kleid trägt? Selbst wenn sie nachts in ein Büro einbricht? Was für schlimme Absichten kann sie hegen?
Gleichzeitig war ich mir ziemlich sicher, dass sie nicht die Wahrheit sagte, was mich an sich nicht störte. Eigentlich nicht. Ich sah sie leicht vorgebeugt vor mir sitzen, die Lippen zu einem Lächeln gekräuselt, die unschuldigen Augen auf mich gerichtet. Es war, als würde man von einem Korb voller Kätzchen angelogen.
Ich schüttelte den Kopf. »Sie haben eine Kopie gemacht, und die ist entweder in Ihrer Handtasche oder irgendwo unter dem Kleid. Ich würde Sie ja selbst durchsuchen, aber ich halte mich doch eher für einen Gentleman. Also überlasse ich das der Polizei.«
Ich griff lässig nach dem Telefon und legte den Hörer auf die Tischplatte, sodass wir beide das Freizeichen hören konnten. Dann begann ich zu wählen. Sie starrte mich an. Bevor aber die Verbindung hergestellt war, griff sie nach ihrer Tasche und holte mehrere Seiten heraus, die zu einem Zylinder zusammengerollt waren, und warf sie auf den Tisch. Ich glättete die Seiten und ließ sie umgedreht zwischen uns liegen. Lucy legte den Hörer wieder auf.
»Also gut«, sagte ich. »Spucken Sie’s aus.«
»Was denn?«
»Nur eine Handvoll Menschen wissen von dem Manuskript. Wie haben Sie davon Wind bekommen?«
»Ich kann meine Informanten nicht nennen, Loogan. Journalistische Ethik.«
»Verstehe. Eine Schande nur, dass Sie, was Ihr Verhalten sonst angeht, keine Ethik zu besitzen scheinen.« Ich griff erneut nach dem Telefon.
Sie legte die Hand auf den Hörer. »Arthur Sutherland«, sagte sie. »Kyle Scudders Anwalt in Sault Sainte Marie. Ich war bei ihm. Er hatte eine Kopie des Manuskripts auf seinem Schreibtisch liegen. Er versuchte sie zu verbergen, aber die erste Zeile konnte ich noch lesen. Sie packt einen sofort. ›Ich habe Henry Kormoran getötet.‹ Ich musste unbedingt auch den Rest sehen.«
Sie zuckte lässig mit den Schultern. »Kormoran wurde hier in der Stadt getötet, und so nahm ich an, dass der Mörder seine Beichte direkt zur Polizei von Ann Arbor geschickt hatte. Mir war klar, dass Detective Waishkey mir nichts erzählen würde, also verbrachte ich einige Zeit in der City Hall und lungerte bei den Wachhabenden am Eingang herum. Hörte mir ein bisschen Klatsch an. Wissen Sie, über wen die Polizisten reden, Loogan?«
»Über wen?«
»Über Detective Waishkey und Sie. Sie sagten, Sie, Loogan, seien am Abend, als Kormorans Leiche entdeckt wurde, dorthin gekommen, um Waishkey abzupassen. Und dass Sie einen Umschlag bei sich gehabt hätten.«
Ich legte eine Hand auf das Manuskript. »Wie viel davon haben Sie gelesen?«
»Genug, um zu verstehen, warum Sie nach Sault Sainte Marie gefahren sind und was Sie und Detective Waishkey auf dem Hügel am Friedhof gemacht haben. Glauben Sie, dass das wahr ist? Dass er mit seinem Gewehr dort war? Dass er auf Terry Dawtrey gefeuert hat?«
Ich sah sie
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