Bell ist der Nächste
Elizabeth fort, »ist nicht das Gleiche wie ein Überfall auf einen Zeitschriftenladen. Man kann nicht davon ausgehen, dass man einfach reinrennt und schnell wieder draußen ist. Eine Apothekerin anzuschreien, mit der Waffe in ihrem Gesicht herumzuwedeln – das bringt nicht sehr viel. Man will so wenig Aufmerksamkeit erregen wie möglich.
Der Mann hat sein Gewehr in einen Einkaufswagen gelegt und ihn durch den Laden geschoben, ohne dass irgendjemand es bemerkt hätte. Er wollte zwei Medikamente haben: ein Antibiotikum namens Cephalexin und ein Schmerzmittel namens Sumatriptan, das gegen starke Kopfschmerzen eingesetzt wird. Die Apothekerin hat ihm beides gegeben, er hat das Gewehr wieder in den Wagen gelegt und ihn wieder herausgeschoben. Niemand hat einen Blick auf sein Auto geworfen. Es gab Videokameras im Laden, aber die haben ihn von oben gefilmt, und die Baseballkappe, die er trug, hat sein Gesicht verdeckt.
Wenn er verrückt ist, scheint ihm das überhaupt nicht zu schaden. Aber es hilft mir auch nicht.«
»Du wirst ihn schon erwischen«, sagte Sarah. »Irgendwann wird er sich verraten. Eigentlich hat er das schon. Und zwar in seinem Manuskript.«
»Wann hast du denn sein Manuskript gelesen?«, fragte Elizabeth stirnrunzelnd.
Sarah zuckte mit den Schultern. »Neulich. Du hast eine Kopie herumliegen lassen.«
»Nein, habe ich nicht«, sagte Elizabeth und sah mich an. Ich konzentrierte mich darauf, den Pfannkuchen in der Pfanne zu wenden.
»Ist das wichtig?«, fragte Sarah.
»An sich schon«, sagte Elizabeth. »Aber lassen wir das für den Augenblick. Ich habe nichts in dem Manuskript entdeckt, das auf seine Identität hätte schließen lassen. Was glaubst du, verrät ihn?«
»Es ist etwas, das fehlt.«
»Adverbien«, sagte Elizabeth zu Callie Spencer. »Er benutzt sie nicht. Es gibt kein einziges im ganzen Manuskript.«
Callie warf ihr einen ironischen Blick zu. »Ist das Ihr Ernst? Sie wollen meine Ordner nach Wählerbriefen durchsuchen, die keine Adverbien enthalten?«
»Ich weiß, dass das ungewöhnlich ist.«
»Es ist absurd. Selbst wenn ich das Thema des Datenschutzes außen vor ließe, was ich nicht kann, so würden Sie sehen, dass sich eine Menge Leute sehr kurzfassen, wenn sie an ihre Abgeordneten schreiben. Und es liegt nahe, dass sie dann in einigen wenigen Zeilen keine Adverbien finden werden.«
»Der Mann, den wir suchen, betreibt schon einen ziemlichen Aufwand, um sie zu vermeiden«, wandte Elizabeth ein. »Er schreibt ›auf raue Weise‹ statt ›rau‹, ›ohne viel Lärm‹ statt ›leise‹. Wenn Sie einen Brief von ihm bekämen, er würde auffallen.«
Von meinem Platz an der Tür aus glaubte ich eine Veränderung in Callie Spencers Ausdruck erkennen zu können – sie schien zu schwanken. Auch Harlan Spencer hatte das offenbar gesehen.
»Sie müssten außerordentlich diskret vorgehen«, sagte er zu Elizabeth.
»Natürlich.«
»Vielleicht solltest du es in Erwägung ziehen«, wandte sich Spencer an seine Tochter.
Callie blickte Jay Casterbridge an, der mit einem leeren Glas auf sein Knie tippte.
»Tu, was du für richtig hältst«, meinte er nur.
In diesem Moment schaltete sich Alan Beckett ein.
»Die Sache müsste sehr sensibel gehandhabt werden«, sagte er. »Und dürfte unter keinen Umständen an die Öffentlichkeit kommen.«
Callie wandte sich wieder an Elizabeth. Rücken gerade, Kinn erhoben. Es war eine Verwandlung, die ich schon zuvor einmal beobachtet hatte. Sie schob ihre Zweifel weg.
»Nein«, sagte sie. »Was auch immer Sie von mir halten werden, aber die Menschen, die mir schreiben, müssen sicher sein können, dass ich ihre Briefe nicht an die Polizei weitergebe. Ich kann es nicht zulassen, dass Sie Leute aufsuchen und befragen, nur weil sie einen Brief mit einer vielleicht ungewöhnlichen Ausdrucksweise geschrieben haben.«
Sie erhob sich. Elizabeth tat es ihr nach, sammelte das Manuskript und die Zeichnungen zusammen.
»Es tut mir leid«, sagte Callie Spencer. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen. Ich werde dafür sorgen, dass Sie den Ordner mit den Drohungen einsehen können. Aber das ist das Äußerste. Es muss einfach Grenzen geben.«
20
In manchen Nächten habe ich die Art von Träumen, bei denen man sich plötzlich hellwach aufsetzt, um sich im Dunkeln zu orientieren. Die Art, bei der man sich fragt, ob das Fenster, das man sieht, immer schon gewesen ist, wo es jetzt ist, genau an dieser Stelle, und ob es offen war, als man schlafen ging,
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