Belladonna
Hilfssheriffs mittleren Alters.
Die Studentin klärte ihn auf: «Man hat die Bücher vor der Bibliothek gefunden.»
Mit großer Anstrengung öffnete Jeffrey die Fäuste und ging in die Knie, um die Bücher zu untersuchen. Er dachte noch daran, Handschuhe anzuziehen, bevor er sie berührte, aber als Beweismittel waren sie ohnehin nicht mit der erforderlichen Sorgfalt behandelt worden.
Biologie der Mikroorganismen lag oben auf dem Stapel, und über den Schutzumschlag waren Matschflecken verteilt. Jeffrey nahm das Buch zur Hand und blätterte die Seiten durch. Auf Seite 23 fand er, wonach er gesucht hatte. Das Wort FOTZE war mit rotem Filzschreiber in Druckbuchstaben quer über die Seite geschrieben worden.
«Mein Gott», hauchte Jenny hinter vorgehaltener Hand.
Jeffrey ließ Frank zurück, um das Zimmer zu versiegeln. Statt zum naturwissenschaftlichen Labor zu fahren, in dem Sibyl gearbeitet hatte, eilte er im Laufschritt über den Campus. Dabei schlug er die entgegengesetzte Richtung zu der ein, die er noch vor ein paar Tagen mit Lena gegangen war. Wieder nahm er zwei Stufen auf einmal, wieder wartete er gar nicht erst eine Reaktion ab, nachdem er an die Tür von Sibyls Laboratorium geklopft hatte, sondern stürmte hinein.
«Oh», sagte Richard Carter und sah von seinen Notizen auf.
«Was kann ich für Sie tun?»
Jeffrey stützte sich mit der Hand auf den erstbesten Tisch und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. «Gab es irgendwas
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Ungewöhnliches», fragte er, «an dem Tag, als Sibyl Adams ermordet wurde?»
Carter wirkte verärgert. Jeffrey hätte ihm diesen Ausdruck am liebsten aus dem Gesicht geprügelt, aber er riss sich zusammen.
Selbstgerecht plusterte sich Carter auf: «Ich hab's Ihnen doch schon mal gesagt: Es gab nichts Außergewöhnliches. Sie ist tot, Chief Tolliver, meinen Sie da nicht, dass ich etwas Ungewöhnliches erwähnt hätte?»
«Vielleicht war irgendwo etwas draufgeschrieben», deutete Jeffrey an. Er wollte nicht zu viel preisgeben, es war verblüffend, an was sich die Leute zu erinnern meinten, wenn man ihnen nur die entsprechend formulierten Fragen stellte.
«Haben Sie vielleicht gesehen, dass auf einer ihrer Kladden etwas geschrieben stand? Vielleicht hatte sie ja irgendetwas immer bei sich, und daran hat sich jemand zu schaffen gemacht?»
Carter sackte der Unterkiefer weg. Offenbar erinnerte er sich an etwas. «Jetzt, wo Sie es erwähnen», fing er an, «also kurz vor ihrem ersten Seminar am Montag sah ich, dass man etwas auf die Wandtafel geschrieben hatte.» Er verschränkte die Arme über seinem massigen Oberkörper. «Die Kids finden es lustig, solche Streiche zu spielen. Sie war blind, und daher konnte sie auch nicht mitbekommen, was die machten.»
«Was machten sie denn?»
«Na ja, jemand, ich weiß nicht wer, hatte das Wort Fotze an die Tafel geschrieben.»
«Und das war am Montagmorgen?»
«Ja.»
«Bevor sie starb?»
Er besaß so viel Anstand, zur Seite zu sehen, bevor er antwortete: «Ja.»
Jeffrey blickte einen Moment lang starr von oben auf
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Richards Kopf. Dabei kämpfte er gegen das Bedürfnis an, den Mann mit Fäusten zu traktieren. Er sagte: «Ist Ihnen klar, dass Julia Matthews noch am Leben sein könnte, wenn Sie mir das am vergangenen Montag erzählt hätten?»
Darauf wusste Richard Carter keine Antwort.
Jeffrey ging und knallte die Tür hinter sich zu. Er war auf der Treppe, als sein Handy klingelte. Beim ersten Ton antwortete er:
«Tolliver.»
Mary Ann Moon kam sofort zur Sache. «Ich bin jetzt im Archiv und habe die Liste vor mir. Sie enthält alle, die in der Notaufnahme im ersten Stock gearbeitet haben, von den Ärzten bis zum Aufsichtspersonal.»
«Legen Sie los», bat Jeffrey und schloss die Augen. Er gab sich alle Mühe, ihren näselnden Yankee-Akzent zu überhören, als sie die Vornamen, die zweiten Vornamen und die
Nachnamen aller Männer vorlas, die mit Sara
zusammengearbeitet hatten. Sie brauchte dafür geschlagene fünf Minuten. Nach dem letzten Namen blieb Jeffrey stumm.
Moon fragte: «Kommt Ihnen einer bekannt vor?»
«Nein», erwiderte Jeffrey. «Wenn es Ihnen nichts ausmacht, faxen Sie mir doch bitte die Liste in mein Büro.» Er gab ihr die Nummer. Dabei kam es ihm vor, als hätte ihm jemand einen Schlag in den Magen versetzt. Und dann hatte er wieder Lena vor Augen, auf den Kellerflur genagelt und in Todesangst.
Moon machte sich bemerkbar: «Chief?»
«Ich lasse die Liste dann durch einige meiner Leute mit
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