Belladonna
Entsetzen und Angst auf Merrills Gesicht. Angst und Verwirrung auf Caitlins. Verwirrung und … eine Art Erwachen … in Brighids Augen. Und eine Erkenntnis: Ich kenne dich.
Merrill zuerst.
»Öffnet das Tor«, sagte Glorianna kalt. »Ihr habt bekommen, was Ihr wolltet. Mehr als Ihr wolltet. Jetzt müsst Ihr in der Landschaft leben, bei deren Gestaltung Euer Herz mitgewirkt hat.«
»Ich habe nicht …«, stammelte Merrill.
»Öffnet das Tor.«
Kieselsteine schossen überall um das Tor aus dem Boden.
»Zauberin«, flüsterte Merrill.
»Landschafferin«, erwiderte Glorianna.
Diesmal waren die Steine, die als Antwort auf ihren Zorn aus dem Boden schossen, faustgroß und hatten scharfe Kanten.
Shaela trat ans Tor und stieß Merrill sanft zur Seite. Ihre Hände zitterten, als sie das Tor aufschloss, doch sie zog es ganz auf.
Mit diesem Schritt zufrieden, warf Glorianna einen kurzen Blick zu der Stelle hinüber, an der Lee und Michael standen, glücklicherweise noch sichtbar. Da die Männer sie nicht brauchten, richtete sie ihre Aufmerksamkeit - und ihren Zorn - auf Caitlin Marie.
»Hast du in den letzten Tagen gar nichts gelernt?«, fragte sie und ließ ihre Stimme hart und kalt klingen wie Stein. »Du hast gesehen, was mit der Welt geschieht, wenn du unachtsam wirst. Du hast es gesehen, Caitlin Marie. Du kannst das, was du tust, oder den Schaden, den du anrichtest, nicht länger mit Unwissenheit entschuldigen.«
Das Mädchen machte einen Schritt zurück, erschrocken über den bewusst gezielten Schlag.
»Ich habe nichts getan«, sagte Caitlin, die jetzt elend und verängstigt aussah.
»Du bist eine Landschafferin«, sagte Glorianna scharf. »Du kannst nicht mit Worten lügen, wenn dein Herz die Wahrheit kennt. Fühl den Unterschied. Dieser Ort hat sich verändert.« Zum Guten, fügte sie schweigend hinzu, doch da war noch eine, um die sie sich kümmern musste, bevor sie das eingestand.
»Das war nicht nur ich«, weinte Caitlin. »Ich war es nicht. Warum schreist du sie nicht an?« Sie streckte einen Arm aus, um auf Merrill zu zeigen. »Sie hat angefangen, indem sie gesagt hat, ich gehöre nicht hierher. Sie -«
»- hat Recht.«
Schweigen. Entsetzen. Und Schmerz. Und in diesem Schweigen, als die Herzen dieser Frauen sich nicht verteidigen konnten, hörte Glorianna, als Landschafferin und Wächterin, alle ihre Geheimnisse. Vor allem diejenigen, die sie vor sich selbst verbargen.
Jetzt konnte sie ihr eigenes Herz besänftigen. Denn jetzt verstand sie die Verwirrungen zwischen ihr und Caitlin.
»Du gehörst nicht hierher, Caitlin Marie«, sagte Glorianna leise. »Hast es nie getan. Wenn du gekommen wärst, als du das erste Mal von Lighthaven gehört hast, wenn man dich willkommen geheißen hätte, als der Traum davon nur ein unsteter Traum war, so glaube ich, hättest du hier in Einklang mit diesem Ort des Lichts leben können. Doch immer nur als Besucher. Jetzt verachtest du diesen Ort und die Leute, die hier leben. Jetzt schaffst du eine Dissonanz. Du bist nicht der Grundstein Lighthavens.« Sie wandte sich um und sah Merrill an. »Ich bin es.«
Merrills Augen weiteten sich. Sie schlug eine Hand vor den Mund, um einen Aufschrei zu ersticken. Dann ließ sie die Hand langsam sinken, als sie Glorianna voll Staunen ansah. »Ich weiß. Ich fühle Euch im Licht, wie ich es vorher nicht konnte.«
»Ich bin das Fundament. Und Ihr seid der Anker.« Sie blickte Brighid an. »Genauso wie Ihr einst der Anker wart.« Sie sah Vorsicht in Brighids Augen. Es musste hart für die Frau gewesen sein, ihr wahres Wesen zu verbergen, sogar vor den Menschen, die sie liebte.
Sie ging einen Schritt auf Brighid zu, dann deutete sie mit dem Kopf auf Merrill und Shaela. Doch ihr Blick hielt Brighids fest. »Sie sind Schwestern des Lichts, doch Ihr seid eine Wahrerin des Lichts. Eine echte Wahrerin, ein Nachkomme der Ersten, die Ephemera als Reaktion auf den Aufschrei des menschlichen Herzens schuf. Unsere Vorfahren waren nicht vollkommen menschlich, und selbst jetzt, Generationen später, sind wir es auch nicht. Doch es ist an der Zeit, sich nicht länger zu verstecken, Brighid. Der Weltenfresser zieht wieder frei durch die Welt, und die Menschen müssen wissen, dass sie nicht alleine sind.«
Brighid musterte sie, Hoffnung kämpfte jetzt gegen Vorsicht. »Die Abstammung meiner Familie wird seit Generationen geheim gehalten. Ein Geheimnis, das nur den Töchtern anvertraut wird, deren Bestimmung in Lighthaven liegt. Selbst
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