Belladonna
gerade ihren Bruder Michael zum nächsten Teil seiner Reise begleitet. Er ist auf dem Weg in die Heiligen Stätten, also ist er hier in der Nähe über die Resonanzbrücke gegangen. Er ist auf der Suche nach seiner Schwester - und nach Belladonna.« Endlich sah er zu seiner Tante auf. »Ich hätte ihn fast hierher gebracht. Ich dachte mir, du wärst schon auf, also hätte ich ihn beinahe zu dir gebracht, damit du ihn dir ansehen und mit ihm reden kannst. Dann hätte er seine Schwester gefunden und sich vielleicht nicht dafür entschieden, weiter in die Heiligen Stätten zu gehen.«
»Er hätte nicht gehen müssen. Lee will bei Glorianna vorbeischauen, um ihr von Caitlin zu erzählen und sie zu bitten, herzukommen so bald sie kann, damit sie das Mädchen kennen lernt.« Nadia hielt inne. »Warum bist du nicht mit ihm gegangen? Wenn ein Fremder auftaucht und nach Belladonna fragt, wird keiner in den Heiligen Stätten ihm Auskunft geben oder sie bitten, ihre Insel zu verlassen. Er wird die Reise umsonst machen.«
»Er wird sie treffen können«, sagte Sebastian und wandte sich wieder ab, um die Blumen zu betrachten. Das war leichter, als seiner Tante ins Gesicht zu schauen. »Wenn er dessen würdig ist.«
Sie keuchte auf. »Oh, Sebastian. Du hast ihn losgeschickt, damit der Fluss ihn prüft?« Als er nickte, legte sie eine Hand auf seinen Arm, ein stummer Befehl, sie anzusehen. »Warum?«
»Ich habe ihn gezeichnet, Tante Nadia«, sagte Sebastian und leistete dem Befehl Folge. »Mit ihr.«
Nadia verharrte einen Moment schweigend und bewegungslos. Dann blinzelte sie bedächtig. »Der Mondschein-Geliebte.« Sie überlegte einen Augenblick. »Er ist dir im Traum erschienen?«
»In einem Wachtraum, ja, und nie deutlich genug, um Details zu erkennen, deshalb liegt sein Gesicht im Schatten. Aber ich habe ihn dennoch wiedererkannt. Hat mich ganz schön erschreckt, als er im Pfuhl aufgetaucht ist - vor allem, nachdem ich erfahren hatte, dass er hier gelandet ist, nachdem er gegen den Weltenfresser gekämpft hat.«
Nadias Hand schloss sich fester um seinen Arm, bevor sie die Kontrolle wiedergewann und ihn losließ. »Gut. Ich werde Lee trotzdem sagen, er soll eine Nachricht zur Insel bringen, aber wir warten bis heute Mittag.«
»Tante Nadia.« Er hatte die Entscheidung getroffen, und er würde auch zu ihr stehen. »Er war mir ziemlich sympathisch, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm vertraue. Ich -« Er fühlte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg. »Manchmal werden mir … Dinge … gewahr, ohne dass ich wirklich versuche, mich mit jemandem durch seine Träume zu verbinden. Romantische Tagträume könnte man sie wohl nennen, die unter meiner Deckung hindurchschlüpfen.«
Sie errötete, als sie die Bedeutung seiner Worte erkannte. »Machst du das immer noch …? Du bist verheiratet, Sebastian.«
»Das weiß ich.« Er schloss die Augen und versuchte, das Gefühl heraufzubeschwören, das ihn ergriffen und zu jenem Bild inspiriert hatte. »Glorianna ist einsam, Tante Nadia, und die romantische Seite ihres Herzens …«
»Ich weiß«, sagte Nadia sanft.
»Nachdem ich ihn kennen gelernt hatte, habe ich begonnen, mich zu fragen, ob die Inspiration, ihn als Fantasieliebhaber zu zeichnen, einer Sehnsucht entsprungen ist, die durch die Strömungen des Lichts geflossen ist … oder ob etwas in der Dunkelheit sie hervorgerufen hat.«
Nadia stockte der Atem.
»Es gibt etwas, das er gestern Nacht nicht erzählt hat, Gründe, aus denen er nach Glorianna sucht, die er mir nicht mitgeteilt hat. Also bin ich mir nicht sicher, ob ich ihm vertraue. Doch den Fluss kann man nicht belügen. Wenn er ihn die Insel im Nebel erreichen lässt, wissen wir, dass er dessen würdig ist, was er sucht.«
Nadia presste sich die Finger gegen die Augen. Dann ließ sie ihre Hände sinken und seufzte. »Sollen wir Caitlin sagen, dass ihr Bruder in der Nähe ist?«
Er überlegte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. »Es besteht kein Anlass, ihr etwas über Michael zu sagen, bis wir wissen, ob er überlebt hat.«
»Es tut mir leid«, sagte Caitlin, als Lee sanft ihre Hände beiseite schob und begann, die Scherben der Tasse und Untertasse aufzuheben. »Es tut mir so leid.«
»Es ist nur ein bisschen Geschirr, Caitlin Marie«, sagte er.
»Aber das bisschen Geschirr gehört deiner Mutter.«
Er warf ihr einen Blick zu, der gleichzeitig freundlich und verzweifelt war. Nicht wie ein Bruder. Nicht ganz. Aber auch nicht auf die Art, wie
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