Belladonna
obwohl das Wesen ungefährlich aussah, fand er es beklemmend, etwas zu sehen, das zwar menschenähnlich aussah, aber nicht menschlich war.
»Das ist ein Flusshüter. Sie bauen ihre Häuser gegenüber der Schlucht und kümmern sich um den Fluss der Gebete, schon so lange die Erinnerungen ihrer Rasse zurückreichen. Ihre Magie ist sehr mächtig, und sie ist Teil der Strömungen des Flusses geworden, auch über ihre Heimatlandschaft hinaus. Bleibt einfach auf dem Pfad und geht an der Statue vorüber. Das wird Euch in ihren Teil der Heiligen Stätten bringen.«
Michael zögerte. »Könnt Ihr mit mir kommen?«
Yoshani musterte ihn. »Ich kann Euch noch ein kleines Stück auf Eurer Reise begleiten, wenn Ihr das wünscht.«
»Das tue ich. Sehr sogar.«
Yoshani lächelte. »Dann kommt.« Er ging an der Statue vorbei und verschwand.
Michael wollte sich nicht verlaufen oder zurückgelassen werden und eilte hinter Yoshani her. Doch als er an der Statue vorüberschritt und sich in jenem anderen Teil der Heiligen Stätten wiederfand, vergaß er seinen Begleiter und den Grund dieser Reise. Vergaß alles, denn der Fluss zog ihn an, und der Konflikt und die Harmonie seiner Lieder beanspruchten all seine Aufmerksamkeit.
Yoshani ergriff Michaels Arm, um ihn davon abzuhalten, sich den vorbeieilenden Fluten noch weiter zu nähern. »Dieser Fluss fließt durch viele Landschaften, und sogar hier in den Heiligen Stätten sind seine Ufer nicht immer sicher.«
Macht, dachte Michael, als er in den Fluss starrte. Er hatte nie zuvor einen so mächtigen Wasserstrom gesehen. Einige Teile sahen ruhig aus und nicht tiefer als ein leicht zu durchwatender Bach, und die anmutigen Wasserfälle, die sich von kleinen Schieferinseln ergossen, schenkten Herz und Auge Ruhe. Doch der Rest …
»Es ist ein Kampf«, flüsterte er, und die Stellen, an denen die Strömung gegen sich selbst zu kämpfen schien, zogen seinen Blick an. Die Geschwindigkeit des Wassers hypnotisierte ihn, bis die Verlockung, Teil von ihm zu werden, beinahe unwiderstehlich wurde.
»Michael.«
Noch immer konnte er den Blick nicht vom Fluss losreißen, war fast taub gegenüber allem, außer seinem Klang, doch er gestattete Yoshani, ihn ein paar Schritte zurückzuziehen.
»Was ist das hier für ein Ort?«, fragte er.
»Ich glaube, in anderen Landschaften trägt er andere Namen, doch hier nennt man ihn den Fluss der Wünsche«, antwortete Yoshani. »Die Flusshüter sagen, er offenbare die Konflikte, die entstehen, wenn die Wünsche und Begierden eines Herzens den Wünschen und Begierden eines anderen direkt entgegenstehen.«
Michael zwang sich, von der unbändigen Energie der Stromschnellen aufzublicken und sich auf die ruhigen Steininseln mit ihren anmutigen Wasserfällen und stillen Teichen zu konzentrieren.
Yoshani folgte seinem Blick und lächelte. »Nicht alle Herzenswünsche stehen mit einem anderen im Widerstreit.« Er zog Michael am Arm. »Kommt. Eure Reise ist noch nicht vorüber, und wenn Ihr Euch zu lange hier aufhaltet, werdet Ihr vielleicht nicht finden, was Ihr sucht.«
Von diesen Worten beunruhigt, wandte sich Michael vom Fluss ab - und wurde eines merkwürdigen Geräusches gewahr, wie ein tiefes, stetiges Grollen. Nebel stieg vom Fluss auf, erfüllte die Luft und schuf Regenbögen. Dort, wo sich der Nebel erhob, verschwand der Fluss, und Michael begann zu ahnen, was jenes beständige Grollen bedeutete.
Doch er war nicht bereit, als Yoshani stehen blieb und ihn ansah.
Michael schlug das Herz bis zum Hals. Der Fluss ergoss sich über den Rand der Welt, stürzte auf ein Durcheinander aus riesigen Felsbrocken hinab, bevor das Wasser seinen Weg zurück zum Fluss in der Schlucht fand.
»Der Pfad hinunter zum Fluss liegt dort drüben«, sagte Yoshani.
»Und warum sollte ich dort hinunter wollen?«
»Weil dort unten die Flusshüter leben, und sie sind die Einzigen, die Euch auf dem nächsten Abschnitt Eurer Reise helfen können.«
Michael betrachtete den anderen Mann. »Ihr geht jetzt.«
»Ja. Doch ich hoffe, wir werden uns wiedersehen, Michael.« Yoshani hielt inne, dann fügte er hinzu: »Denkt an die Lehre des Flusses: Ein Herzenswunsch, der nicht mit einem anderen - oder mit sich selbst - in Widerstreit steht, findet seinen Weg leichter.« Er hob zum Abschied die Hand. »Reist leichten Herzens.«
Michael sah Yoshani nach, bis er den Mann nicht mehr sehen konnte. Dann wandte er sich dem Pfad zu, der in die Schlucht hinunterführte.
Eher eine in den Stein
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