Belladonna
gehauene Treppe als ein Pfad, entschied Michael, als er den halben Weg nach unten hinter sich gebracht hatte. Und das hölzerne Geländer bot nicht nur den Trost, sich festhalten zu können, sondern unterschied auch die Treppe vom Rest des Felsens. Die Flusshüter brauchten diese Unterscheidung vermutlich nicht, doch er nahm an, Besucher schätzten es, zumindest so viel Orientierungshilfe zu erhalten.
Als er den Fluss und eine ebene Fläche erreichte, die als Anlegestelle diente, warteten Dutzende der otterähnlichen Wesen auf ihn, die Yoshani Flusshüter genannt hatte.
»Seid gegrüßt«, sagte Michael und wünschte, er hätte Yoshani gefragt, ob es einen bestimmten Gruß gab, den man von ihm erwartete oder der vorgeschrieben war.
Die Flusshüter verbeugten sich alle leicht, die Ballen ihrer Pfoten auf Brusthöhe aneinandergepresst. Sie sahen ihn aus glänzenden schwarzen Augen an, und keiner von ihnen ließ auch nur so viel wie das Zucken eines Barthaares erkennen.
»Ich suche Belladonna«, sagte er.
Als Reaktion auf diese Worte zuckten ihre Barthaare doch. Dann trat einer - vielleicht der Anführer - einen Schritt nach vorn. »Gefährliche Reise zu Insel im Nebel.«
»Wo ist diese Insel?«
Sie drehten sich alle um und zeigten in eine Richtung.
Er blickte zu den Fällen und in den Nebel aus Gischt, der sich bis zur Spitze des Flusses erhob. Dann blickte er in die Gischt, die ein Stück flussaufwärts emporstieg - Gischt, die nach dem Himmel griff und alles, was hinter ihr lag, verbarg.
Er holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Ich tue das hier, um Caitlin Marie zu finden. Ich tue es, um Belladonna zu finden. Ich tue es, um ein Rätsel zu verstehen. »Wenn das der Ort ist, an den ich gehen muss, so werde ich dorthin gehen.«
Der Anführer nickte mit dem Kopf. »Hier entlang.«
Sie drängten sich um ihn, trieben ihn zu einem Boot, das mit einer Lederschlaufe, an der man ein Seil befestigt hatte, an einem pfahlförmigen Felsstück festgemacht war.
Kein besonders großes Boot. Gut dafür geeignet, über einen Teich oder kleinen See zu rudern, doch das Ding sah nicht groß oder stabil genug aus, um sich mit der Stärke dieses Flusses zu messen. Dann erkannte er, was außer der Größe und der Stabilität noch fehlte.
»Wo sind die Ruder?«
»Keine Ruder«, sagte der Anführer. »Es ist ein magisches Boot und fährt nicht mit Rudern.« Er deutete auf das Boot, dann auf Michael. »Das Herz ist das Segel, der Wille das Steuer.«
»Ihr erwartet von mir, dass ich dieses Ding steuere, indem ich mir wünsche, dass es mich ans Ziel bringt.«
»Das Herz ist das Segel, der Wille das Steuer. Wenn der Fluss dich prüft, lauscht er nicht den Wünschen des Verstands, nur dem Herzen.« Der Flusshüter starrte ihn an. »Bist du würdig dessen, was du suchst, wirst du Insel im Nebel finden. Wenn dir nicht bestimmt ist, sie zu finden, wird dich das Boot hierher zurückbringen. Wenn dein Herz einen anderen Ort braucht, wirst du eine andere Landschaft finden. Doch wenn dein Herz versucht, den Fluss darüber zu täuschen, warum du auf der Suche bist, wird der Fluss dich verschlingen.«
Ich könnte sterben, dachte Michael, während er das Boot anstarrte. »Hier in der Gegend ist wohl nie etwas einfach, oder?«
»Ephemera ist so einfach wie das Herz«, erwiderte der Flusshüter. »Willst du gehen oder weiterziehen?«
Die Worte bedeuten das Gleiche, wollte er dem Flusshüter sagen. Dann erkannte er, dass sie es nicht taten, nicht so, wie das Wesen sie gemeint hatte. Er konnte zur Insel gehen oder diesen Teil der Heiligen Stätten verlassen und weiterziehen. Was unausgesprochen zwischen den zwei Worten stand, war, dass er dann niemals finden würde, wonach er suchte.
»Ich gehe.«
Nur ein Sitzplatz im Heck. Die sind wohl nicht dafür gedacht, mehr als eine Person zu tragen, dachte Michael, als er vorsichtig das Boot bestieg und sich in der Mitte der Sitzbank niederließ. Er dachte einen Augenblick daran, den Rucksack abzusetzen und ihn in den Bug zu stellen, dann entschied er sich dagegen. Bis auf seine Flöte, die jetzt in ein sauberes Stück Tuch gewickelt war, waren der Rucksack und alles, was er enthielt, Leihgaben von Sebastian oder Teaser, und er konnte es nicht zulassen, dass sie aus dem Boot fielen, wenn er auf raues Gewässer traf. Und er hatte keinen Zweifel daran, dass er in raue Wasser geraten würde.
Einer der Flusshüter legte seine Robe ab und reichte das Kleidungsstück einem Gefährten, bevor er
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