Belladonna
Tante.«
Die Tatsache, dass Nadia ihm Schwierigkeiten bereiten könnte, reizte sie irgendwie - und vermittelte ihr ebenso das Gefühl von Sicherheit. »Nur ein bisschen Spaß«, willigte sie ein.
Oh, es war mehr als nur ein bisschen Spaß, dieser erste Kuss. Süß und behutsam fing er an - und endete so heiß und feurig wie die Musik. Er hätte vielleicht gar kein Ende genommen, wenn nicht Michael mit Glorianna im Schlepptau die Gasse betreten hätte.
Wahrscheinlich war es ganz gut, dass sie alle den Rest des Besuches in Sichtweite von Sebastians Tante verbracht hatten.
Caitlin stand am Ende von Nadias Garten und atmete die kühle Morgenluft ein. Hinter einer kleinen Steinbrücke - die, wie Lee ihr versichert hatte, nicht mehr war, als eine gewöhnliche Brücke - lag der von Mauern umgebene Garten, der Nadias Landschaften schützte.
Landschaften! Nadia zufolge bestand die Welt aus vielen Bruchstücken, die jedoch nicht unbedingt so ordentlich zusammengefügt waren, dass ein Dorf an das nächste grenzte, wenn man einer Straße folgte. Oh nein. Nichts so Einfaches wie das. Und gestern hatten Nadia und Glorianna mit ihr zusammen an einem Tisch gesessen und sie in aller Seelenruhe gefragt, welche Landschaften, welche Teile ihres Landes in ihrem Garten lagen. Woher sollte sie das wissen? Und warum war Glorianna sich so sicher, dass sie in der Lage sein würden, die Weiße Insel zu erreichen? Wie hatte sie vor, sie zu erreichen? Dachte sie sich, Lee würde sie alle auf seiner winzigen Insel herumfahren?
»Wie ein fliegender Teppich mit Bäumen«, murmelte sie.
»Führst du Selbstgespräche, Caitlin Marie?«, fragte Michael, als er den Gartenweg hinaufkam und sich neben sie stellte.
Sie versteifte sich. Sie hatte ihn so sehr vermisst, hatte sich so sehr nach seiner Gesellschaft gesehnt - und jetzt erschien er ihr nur wie ein weiterer der Menschen, die sie herumkommandierten, so wie er sie gestern angeschrien und sich aufgeführt hatte wie ein zorniger Hund, als sie letzte Nacht alle in den Pfuhl gegangen waren.
Die Erinnerung an den Pfuhl erinnerte sie an Teaser, und das erinnerte sie an …
»Du wirst rot«, sagte Michael.
»Du hattest kein Recht, so gemein zu Teaser zu sein«, erwiderte sie im kühlsten Ton, den sie zustande brachte. Nicht kalt, schließlich war er ihr Bruder, und ihm gegenüber würde sie nicht kalt sein, aber doch frostig genug, um es ihm eine Warnung sein zu lassen. »Wir haben nichts Falsches getan.« Zumindest nicht nach den Maßstäben des Pfuhls. Das hatte sogar Nadia gesagt, oder etwa nicht?
»Können wir aufhören, von Teaser zu sprechen? So früh am Morgen kann ich keine Magenverstimmung brauchen. Hier. Ich habe ein Friedensangebot mitgebracht. Nimmst du es an?« Er hielt ihr eine Tasse Kaffee entgegen.
Sie nahm die Tasse, war sich aber nicht sicher, ob sie bereit war, ihm schon zu verzeihen. »Teaser war nett zu mir. Die Jungen im Dorf waren nie nett zu mir.«
»Er ist ein Inkubus. Er wollte Dinge von dir, von denen du keine Ahnung hast.«
»Ich bin kein Kind, Michael«, fuhr Caitlin ihn an. »Was er wollte, war das Gleiche, was die Jungen zu Hause wollen. Aber Teaser hat mir wenigstens gezeigt, wie man Spaß haben kann, und er hat nicht erwartet, dass ich mich gleich auf den Rücken lege!«
Sie sah, wie der Schmerz über sein Gesicht zuckte, bevor er den Blick abwandte und sich auf den von Mauern umgebenen Garten konzentrierte, der in andere Teile der Welt führte.
»Die Welt ist direkt unter meinen Füßen verschwunden, Caitie, und ich habe das Gleichgewicht verloren«, sagte er leise.
Er hatte sie nicht mehr »Caitie« genannt, seit sie ein kleines Mädchen war. Sie hatte ihm nicht erlaubt, sie »Caitie« zu nennen, nicht, seit er sein Wanderleben aufgenommen hatte. Das war die Strafe dafür gewesen, sie zu verlassen. Doch sie hatte nicht das Herz, ihm deswegen einen Schlag zu versetzen. Nicht wenn sie sich gerade selbst so verloren fühlte.
»Ich dachte, ich kenne mein Leben«, fuhr er fort. »Ich dachte, ich hätte mich mit der Bitterkeit und der Härte meines Lebens abgefunden, und mit der immer wiederkehrenden Angst, dass ich irgendwann ein Dorf betrete, in dem sich die Menschen gegen mich wenden, weil ich ein Magier bin, und sie mir all ihre Probleme zur Last legen. Ich dachte, ich hätte mich mit den Dingen abgefunden, die ich nicht haben konnte, weil ich war, was ich war, und hatte eine Art Zufriedenheit, ja sogar Freude, gefunden, wenn meine Anwesenheit an
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