Belladonna
Hall.»
Das Heck des Town Car geriet ins Schleudern, als sie vor das Wohnheim kurvten und hielten. Jeffrey war im Nu aus dem Auto gestiegen und die Treppen hinaufgelaufen. Er schlug mit der Faust an die Tür von Zimmer zwölf und stieß sie auf, als niemand öffnete.
«O mein Gott», sagte Jenny Price und griff nach einem Laken, um sich zuzudecken. Ein Junge, den Jeffrey noch nie zuvor gesehen hatte, sprang aus dem Bett und zog sich in Windeseile seine Hose an.
«Raus mit dir», forderte Jeffrey ihn auf und ging auf die Seite des Zimmers, die Julia Matthews bewohnt hatte. Seit er das letzte Mal hier gewesen war, hatte man nichts verändert. Jeffrey konnte sich auch nicht vorstellen, dass Matthews' Eltern sonderlich danach zumute gewesen war, in den Habseligkeiten ihrer toten Tochter zu kramen.
Jenny Price war angezogen weitaus selbstbewusster als am Tag zuvor. «Was tun Sie denn hier?», verlangte sie zu wissen.
Jeffrey beachtete ihre Frage nicht, sondern durchsuchte Kleider und Bücher.
Jenny wiederholte ihre Frage, diesmal an Frank gerichtet.
«Polizeiangelegenheit», murmelte er vom Flur her.
In Sekundenschnelle hatte Jeffrey das Zimmer auf den Kopf gestellt. Viel zu durchsuchen hatte es ohnehin nicht gegeben, und wie bei der Durchsuchung vorhin fand sich auch jetzt nichts Neues. Er hielt inne, sah sich im Zimmer um und fragte sich, ob er vielleicht etwas übersehen hatte. Als er sich daranmachen wollte, nochmals den Wandschrank zu durchstöbern, bemerkte er neben der Tür einen Stapel Bücher. Eine dünne Schicht Matsch bedeckte deren Rücken. Beim ersten Mal, als Jeffrey das Zimmer durchsucht hatte, waren sie noch nicht da gewesen. Daran hätte er sich erinnert.
Er fragte: «Woher kommen die?»
Jenny folgte seinem Blick. «Die Campuspolizei hat sie vorbeigebracht», erklärte sie. «Sie gehörten Julia.»
Jeffrey ballte die Faust und hätte am liebsten auf irgendetwas eingeschlagen. «Die haben sie hierher gebracht?», fragte er und wusste eigentlich auch nicht, warum ihn das so überraschte. Die Sicherheitsbediensteten vom Grant Tech Campus waren fast allesamt ziemlich hirnlose und ausgemusterte Hilfssheriffs mittleren Alters.
Die Studentin klärte ihn auf: «Man hat die Bücher vor der Bibliothek gefunden.»
Mit großer Anstrengung öffnete Jeffrey die Fäuste und ging in die Knie, um die Bücher zu untersuchen. Er dachte noch daran, Handschuhe anzuziehen, bevor er sie berührte, aber als Beweismittel waren sie ohnehin nicht mit der erforderlichen Sorgfalt behandelt worden.
Biologie der Mikroorganismen lag oben auf dem Stapel, und über den Schutzumschlag waren Matschflecken verteilt. Jeffrey nahm das Buch zur Hand und blätterte die Seiten durch. Auf Seite 23 fand er, wonach er gesucht hatte. Das Wort FOTZE war mit rotem Filzschreiber in Druckbuchstaben quer über die Seite geschrieben worden.
«Mein Gott», hauchte Jenny hinter vorgehaltener Hand.
Jeffrey ließ Frank zurück, um das Zimmer zu versiegeln. Statt zum naturwissenschaftlichen Labor zu fahren, in dem Sibyl gearbeitet hatte, eilte er im Laufschritt über den Campus. Dabei schlug er die entgegengesetzte Richtung zu der ein, die er noch vor ein paar Tagen mit Lena gegangen war. Wieder nahm er zwei Stufen auf einmal, wieder wartete er gar nicht erst eine Reaktion ab, nachdem er an die Tür von Sibyls Laboratorium geklopft hatte, sondern stürmte hinein.
«Oh», sagte Richard Carter und sah von seinen Notizen auf. «Was kann ich für Sie tun?»
Jeffrey stützte sich mit der Hand auf den erstbesten Tisch und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. «Gab es irgendwas Ungewöhnliches», fragte er, «an dem Tag, als Sibyl Adams ermordet wurde?»
Carter wirkte verärgert. Jeffrey hätte ihm diesen Ausdruck am liebsten aus dem Gesicht geprügelt, aber er riss sich zusammen.
Selbstgerecht plusterte sich Carter auf: «Ich hab's Ihnen doch schon mal gesagt: Es gab nichts Außergewöhnliches. Sie ist tot, Chief Tolliver, meinen Sie da nicht, dass ich etwas Ungewöhnliches erwähnt hätte?»
«Vielleicht war irgendwo etwas draufgeschrieben», deutete Jeffrey an. Er wollte nicht zu viel preisgeben, es war verblüffend, an was sich die Leute zu erinnern meinten, wenn man ihnen nur die entsprechend formulierten Fragen stellte. «Haben Sie vielleicht gesehen, dass auf einer ihrer Kladden etwas geschrieben stand? Vielleicht hatte sie ja irgendetwas immer bei sich, und daran hat sich jemand zu schaffen gemacht?»
Carter sackte der Unterkiefer weg.
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