BELLAGIO -- Roman (German Edition)
höflich die Hand entgegen. Er war sich klar darüber, dass er sie anstarrte.
„Papperlapapp, so förmlich machen wir das nicht.“ Jenny packte Alex an den Schultern, und dann gab sie ihm ein Küsschen links und ein Küsschen rechts. „Schön, dass wir uns einmal kennen lernen!“
„Ja, das finde ich auch“, antwortete Alex mechanisch.
„Hast du Gabi eigentlich auch mitgebracht?“, frage Stefan ihn.
„Gabi, welche Gabi!?“ Alex verstand nicht.
„Na Alter, deine Frau!“
Stefan und Jenny sahen ihn erwartungsvoll an. Nun aus der Nähe fiel Alex auf, dass Jenny grüne Augen hatte, nicht blaue wie Gabi. Und ihre Haare gingen leicht ins Rötliche, die von Gabi waren braunschwarz.
„Ähm... Gabi ist nicht meine Frau. Ich habe Camille geheiratet.“ Jetzt war es raus.
Stefan sah ihn geschockt an. Und Jenny auch.
X X X
Ela war recht flott über die Grenze gekommen und war nun schon fast am Bernardino-Tunnel. Hier musste sie tief einatmen. Es war ihr immer unheimlich, durch einen solch langen Tunnel zu fahren. Wenn dort drinnen irgendetwas passierte, würde man sicher nie wieder herauskommen. Mit ihrer leichten Platzangst hatte sie ebenfalls zu kämpfen.
Sie musste immer etwas finden, mit dem sie sich ablenken konnte. Fokus. Fokus. Eigentlich ging es in der Psychologie nur darum. Du bekommst, was du fokussierst.
‚Du musst an etwas Schönes denken. An was könnte ich denken?’, therapierte Ela sich selber. ‚Ja, vielleicht daran, was ich als erstes tun werde, wenn ich am Comer See ankomme.’ Zuerst würde sie sich ein lauschiges Plätzchen suchen und anhalten. Sie würde die samtige Seeluft tief einatmen und sich irgendwo ans Ufer setzen.
Oh Gott, da vorne war schon die Fahrbahnverengung, und sie konnte den schwarzen Schlund des sich öffnenden Tunnels schon erkennen.
Ja, genau, und dann würde sie sich ein zauberhaftes Restaurant suchen und dort etwas essen und sie würde viel Rotwein zum Essen trinken. Dann würde sie einen langen Spaziergang machen und sich ein nettes kleines Hotel irgendwo am Ufer suchen, in dem sie die erste Nacht verbringen würde, denn nach so viel Rotwein würde sie sicher nicht mehr fahren können. Am nächsten Tag würde sie ausschlafen und dann gemütlich am See entlang nach Bellagio gondeln. Und dort würde sie, ach scheiß drauf, einfach ihr Konto sprengen und sich im Hotel Villa Serbelloni einquartieren.
‚Genau’, sagte sie trotzig zu sich selbst, ‚das werde ich mir gönnen. Das Leben ist kurz’.
Doch wo würde sie nun jemanden finden, mit dem sie Sex haben wollte… an der Bar vielleicht, beim abendlichen Drink? Aber was, wenn dort keine Single-Männer waren, was machte sie dann?
‚Dann suche ich mir eine Disco und schleppe irgendeinen ab.’
Sie war erstaunt über sich selbst. So hatte sie früher nie gedacht. Sie war eher romantisch gewesen, immer schon. Sex ging für sie nur mit Liebe. Ach was, Liebe…
Da! Da hinten war der Tunnel zu Ende, endlich, endlich. Nun konnte sie mit ihrer gedanklichen Beschäftigungstherapie wieder aufhören. Endlich wieder draußen.
Das Auto fuhr hinaus ins warme Sonnenlicht. Hastig öffnete Ela das Fenster und atmete tief durch. Hier war es plötzlich gefühlte zehn Grad wärmer als auf der anderen Seite des Tunnels. Herrlich. Was so ein kleiner Berg ausmachte. Drüben kalt, bewölkt und zugig, hüben warm und sommerlich. Vielleicht könnte es in ihrem Leben genauso sein. Vielleicht war ja auch das Leben wie ein großer Berg, bei dem man einfach zuviel Zeit auf der zugigen, regnerischen Seite verbrachte und sich gar nicht bewusst machte, dass man nur die Seite wechseln musste, um es warm und kuschelig zu haben.
Der gleiche Berg. Das gleiche Leben.
Zwei völlig andere Seiten?
Das wäre eine schöne Metapher, das musste sie sich für Ihre Therapiesitzungen merken. Die Patienten standen auf Geschichten und Allegorien. Solange sie die Dinge fachlich erklärte und schilderte, was mit einem Patienten los war, tat sich nicht viel. Viele verstanden nicht einmal, was sie ihnen damit sagen wollte. Sobald sie aber die Lektion in eine Geschichte verpackte oder sie bildhaft darstellte, begannen die Augen der Patienten aufzuleuchten, sie fingen an zu verstehen. Ja, Bilder und Geschichten konnte man viel besser in das eigene Leben einbauen als nur die nackte, kalte Theorie.
‚Ich habe auf meinem Lebensberg viel zu lange auf der unwirtlichen und unspaßigen Seite verbracht. Probleme mit Chris, mit
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