BELLAGIO -- Roman (German Edition)
schuldig. Musste sie unbehelligt ihr Leben leben lassen, ohne sie dabei zu stören. Denn sicherlich würde sie ein Wiedersehen mit ihm, der sie so tief verletzt hatte, aufwühlen. Bestimmt hasste sie ihn.
Zwischenzeitlich war er bereits über die Grenze gekommen und von der Autobahn abgefahren, Richtung Bellagio. Als er die engen Serpentinen entlangfuhr, dachte er an seine Kinder. Als sie letztes Jahr zusammen nach Bellagio gefahren waren, war es wie immer lebhaft auf dem Rücksitz des Chayenne gewesen, mit dem sie die Reise gemacht hatten. Camille saß nehmen ihm. Sie und die Kinder hatten abwechselnd Geschichten und Witze erzählt. Sie hatten sich irgendwelche schönen Häuser oder Villen, an denen sie vorbeigefahren waren, herausgepickt, und sich eine kurze Geschichte über die Häuser und deren Bewohner ausgedacht. Sie erfanden Prinzen und Adlige, genauso wie Kellnerinnen und Müllkutscher.
Wie sehr er seine Kinder vermisste. Und auch Camille. Sie hatten verdammt schöne Zeiten erlebt und er war daran gewöhnt, sie an seiner Seite zu haben. Wenn sie im Auto unterwegs waren, hatte sie immer ihre Hände dick eingecremt und immer wieder massiert. Autozeit ist Handzeit, hatte sie immer gesagt. Da könnte sie sowieso nichts anderen machen. Und die Mädchen hatten es ihr natürlich nachgemacht und sich immer gegenseitig kichernd die Hände mit Mamas teurer Handcreme eingecremt, die leicht und elegant nach Vanille und Rosen roch. Ihm war, als könne er auch jetzt noch diesen sanften Duft wahrnehmen.
Wie würde er in Bellagio nur die paar Tage herumkriegen, bis er den Termin hatte?
Ich werde einfach mit dem Schiff herumfahren und Sport machen. Und im Internet arbeiten. Andererseits schrieben ihm zurzeit nur erboste, hasserfüllte Investoren und Gläubiger. Er konnte nichts ändern. Also wozu Mails abrufen? Das würde ihm nur den Urlaub verderben.
Er war schon lange nicht mehr allein gewesen. Immer waren entweder Mitarbeiter um ihn herum gewesen, oder Geschäftspartner, oder eben seine Familie. Doch jetzt wollten die Geschäftspartner nichts mehr von ihm wissen und den Mitarbeitern hatte er gekündigt. Nun war er allein.
Es war schon nach vier Uhr nachmittags als er auf den Parkplatz des Hotels Serbelloni einbog. Er stellte den Motor ab und hielt kurz inne. Nun denn. Vier Tage dolce fare niente lagen vor ihm. Er seufzte.
Dann stieg er aus, nahm seine Louis-Vuitton-Reisetasche aus dem Kofferraum, die Camille ihm einmal zu Weihnachten geschenkt hatte, schloss den Wagen mit einem Klick und ging Richtung Rezeption.
X X X
Nachdem Ela sich etwas beruhigt hatte, kam der Hunger wieder. Doch was, wenn dieser Typ nun auch gerade beim Frühstück saß? Ach was, sie würde ihn einfach ignorieren. Hoffentlich begegnete sie ihm weder im Frühstücksraum noch auf dem Weg dorthin. Ela nahm ihre Zimmerkarte und ging hinunter. Sie kam auf dem Weg zum Frühstücksraum an einem Zimmer vorbei, in dem ein Pärchen offenbar kräftig stritt. Sie konnte wegen der dicken Mauern und der doppelten Türen zwar nicht genau hören, was gesprochen beziehungsweise geschrien wurde, doch einmal fiel das Wort ‚verlassen’.
‚Zum Glück ist auch bei anderen Paaren nicht alles Gold was glänzt’, dachte sich Ela und fühlte sich gleich ein bisschen besser.
Schadenfreudig dürfte man natürlich nicht sein, maßregelte sie sich gleich wieder und schnitt das Lächeln aus ihrem Gesicht. Nein. Im Grunde freute sich Ela immer, wenn ein Paar jahrzehntelang zusammen war und immer noch glücklich und verliebt zu sein schien. Ohne Neid. Denn so sinnlos das vielleicht auch sein mochte, es gab ihr Hoffnung. Es gab ihr wenigstens einen Funken jenes Schicksalsvertrauens, der es ihr ermöglichte, daran zu glauben, dass so etwas auch noch in ihrem eigenen Leben möglich sein könnte. Auch wenn sie diese Möglichkeit eigentlich nur noch im hintersten Winkel ihres verletzen Herzens in Betracht zog. Aber immerhin.
Der Frühstücksraum war schon relativ voll. An den kleinen runden Tischen saßen überall Pärchen. Igitt.
Warum gab es bloß nicht mehr Singles, die einfach auch einmal allein verreisten? Mit denen man dann in Gespräch kommen könnte und ein paar Dinge unternehmen konnte, einfach so? Hatte denn wirklich jeder, der gerade allein war, Schiss, alleine zu verreisen, alleine zu essen, alleine an einer Bar zu sitzen? Wo doch eigentlich alles besser war, als daheim vor sich hin zu siechen – wie Ela
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