BELLAGIO -- Roman (German Edition)
Der hieß wahrhaftig Leopold. Wer hieß den heute noch Leopold? Dieser ältliche, angestaubte Name passte so gar nicht zu diesem schicken, modernen Mann. Wahrscheinlich nannte man ihn sowieso Leo. Na ja, das ging eher noch. Aber der verlor wirklich keine Zeit. Halb hatte Ela sich gewünscht, er würde das alles von heute morgen vergessen haben und sie wieder aus seinen Klauen lassen. Sie traute sich selbst nicht in seiner Nähe und fand das Ganze einfach zu fantastisch, zu abgehoben, zu romantisch. Und vor allem zu schnell.
Ela war langsamer. Einmal hatte eine Bekannte vom Tennisclub ihr sogar vorgeworfen, wenn es um Männer ginge, käme sie ja gar nicht in die Gänge. Diese Bemerkung hatte Ela regelrecht schockiert. Sie konnte das überhaupt nicht verstehen. Man konnte doch nicht gleich am ersten Abend mit einem Mann ins Bett gehen. Oder auch nicht am zweiten oder am dritten. Sie wollte schließlich wissen, mit wem sie es zu tun hatte. Und außerdem verliebte sie sich äußerst selten. Also, warum sollte sie wohl mit einem schlafen oder gar zusammen sein, wenn sie nicht im Mindesten verliebt war? Und seit damals getraute sie sich auch nicht mehr, einem Mann wirklich zu vertrauen. Aber was viel schlimmer war, sie hatte kein Vertrauen mehr zu ihren eigenen Gefühlen. Bei Alex hatte sie damals auch alles kalt erwischt. Sie hatte es nicht kommen gesehen, nicht vorfühlen können, was geschehen würde. War es nun vielleicht doch an der Zeit, das alles über Bord zu werfen? Die Dinge leichter zu nehmen?
„Ja“, antwortete Ela auf ihre eigene, innerlich gestellte Frage. Wozu hatte sie denn wohl die ganzen Kondome gekauft. Und dass sich ein so heißer Fisch in ihrem Netz verfangen würde, hätte sie in ihren schärfsten Träumen nicht zu hoffen gewagt.
‚Dann wird ‚Leopold’ eben mein heißer Urlaubsflirt’, nahm Ela sich vor. Außerdem beschloss sie, sein überkandideltes Gerede von Heirat und so weiter einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen. Vor allem das war es nämlich, was ihr eine Heidenangst einjagte.
Sie war neugierig auf den Abend und auf ihn. War neugierig darauf, zu erfahren, was er beruflich machte, wo er lebte, ob er verheiratet war, Kinder hatte und so weiter. Sie war auch neugierig darauf, ob er seine Strategie beibehalten würde. Er würde ihr ureigenes Studienobjekt werden. Das versprach so gesehen ein durchaus spannender Urlaub zu werden. Nun denn.
X Y Y
Alex war nach dem Einchecken auf die Suite begleitet worden, die sie jedes Jahr hier im Hotel bewohnt hatten. Nur, dass er noch nie allein in dieser großen Suite hatte wohnen müssen, in der schon Präsidenten und Superprominente übernachtet hatten.
Es war die Suite direkt über dem Eingangsportal, die mit dem Balkon. Als Alex die Balkontür öffnete, sah er wie eine Frau mit langen dunklen Haaren im Jogginganzug auf den Hoteleingang zuging. Sie schaute auf ihre kleine Handtasche, die sie schräg um ihren Oberkörper hängen hatte, und kramte ihre Zimmerkarte hervor.
„Menschenskinder“, entfuhr es Alex. Die sah ja aus wie Gabi.
Was war das nur zurzeit, dass er offenbar überall Frauen sah, die aussahen wie Gabi! Zuerst Jenny, dann die hier. ‚Alter, du musst dringend einen Termin beim Psychiater machen, normal ist das nicht mehr.’
Doch diese Halluzination von gerade eben war schwer zu verdauen. Auch wenn das da bestimmt nicht Gabi war. So gut kannte er sie. Sie war bestimmt nie wieder hier gewesen. Sie hatte Bellagio und dieses Hotel mit Sicherheit gemieden, wie der Teufel das Weihwasser. Sie würde es nicht aushalten, hierher zurück zu kommen. Dazu war sie viel zu sensibel. Sie hatte ein so weiches Herz. Sie verstand alles.
Er konnte sich vorstellen, dass sie als Psychologin sicher sehr gut war. Wenn sie ihre Patienten mit ihren großen, dunkelblauen Augen und ihrem sanften Lächeln anschaute, dann würden alle ihr Herz öffnen. Ohne Probleme. Bei ihm hatte sie das auch immer geschafft. Sie hatte alles aus ihm herausgekitzelt. Jedes Kindheitstrauma, jeden Komplex, jedes Problem, das er hatte.
Noch nie hatte irgendein Mensch ihn so gut gekannt wie sie. Ehrlich gesagt, war ihm das unangenehm gewesen. Er fühlte sich immer wohler, wenn die anderen ihm nicht so tief in seine Karten schauen konnten. Das konnte er bei Ela aber vergessen. Sie hatte ihn gekannt, mehr als nur im biblischen Sinne.
Diese Frau dort unten zu sehen, rief ihm aufs Lebhafteste den Tag damals zurück in sein Gedächtnis, an dem er sie
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