Belsazars Ende
ich Ihnen sagen, find’ ich doch den Pinsel hinterm Stall im Gras! Un’ wissen Sie wat? Die Mädkes konnten echt nix dafür. War meine eigene Doofheit. Dat Dach is’ nämlich leicht schräch, von wegen Regenwasser, wa? Na, da konnten Sie aber war verspannen. Meine Frau war ganz schön geladen. Von wegen Klucke! Mehr so drachenmäßig, wa?«
Er lachte sich schief.
»Aber in solchen Fällen sach ich mir immer, Ackermann, sach ich, halt die Klappe, pack dein’ Kram zusammen un’ geh’ auf ’n Bierchen. Wenn de zurückkomms’, hat se sich wieder beruhicht. Und, wat sach’ ich Ihnen? Genauso war et.«
Toppe fixierte einen Punkt hinter Ackermann an der Wand.
Der rieb sich ein bißchen unsicher die Hände an der Hose ab, klemmte sich dann seine Zigarette in den Mundwinkel und stand auf. »Ich hab’ ganz den Eindruck, dat ich wohl doch stör’. Nee, nee, sagen Sie nix, Herr Toppe. Ich kenn’ dat doch, wenn Sie so kucken. Nix für ungut!«
Und genauso schnell, wie er hereingestürmt war, war er auch schon wieder verschwunden.
Toppe suchte eine Weile zwischen den Tatortfotos auf Breiteneggers Tisch.
Ganz richtig, es war gar kein Schreibtisch, an dem van Velden gesessen hatte. Es war ein Sekretär mit einer Platte, die leicht schräg war. Angenommen, van Velden hätte doch etwas geschrieben, als er den Schlag auf den Kopf bekam. Der Stift wäre ihm aus der Hand gefallen, in die Schublade gerollt, und die hätte van Velden im Vornübersacken mit seinem Körper zugeschoben. Zuviel Enid Blyton als Kind? Ja, vielleicht.
Trotzdem, er mußte das ausprobieren.
Und er wollte so schnell wie möglich mit diesem Salmon Rosenberg sprechen.
14
Salmon Rosenberg schlug die Bettdecke zurück und stand auf. An Schlaf war sowieso nicht zu denken.
Im matten Licht, das von der Straßenlaterne heraufschien, versuchte er auf seiner Armbanduhr zu entziffern, wie spät es war. Fünf vor halb drei.
Im großen Hotel, in dem man ihn, den Ehrengast, untergebracht hatte, wurde heute abend die Karnevalszeit eingeläutet.
Obwohl er beide Fenster fest geschlossen hatte, drang der Frohsinn bis in sein Zimmer. Er fühlte sich klebrig.
Entschlossen öffnete er eines der Fenster weit, lehnte sich hinaus und atmete tief durch.
Unten im Saal tanzten die Enten; und warum es am Rhein so schön war, hatte man anscheinend immer noch nicht herausgefunden.
Man feierte die Feste, wie sie fielen.
Elf waren sie gewesen; sechs Erwachsene und fünf Kinder, zwei davon jünger als er.
Zwölf mit ihrem Retter.
Eine Ewigkeit hatten sie im finsteren Wohnzimmer gewartet, Papa, Mutter, Rachel und er; kein Licht, bloß kein Licht. Die Eltern saßen auf den beiden guten Koffern, feinstes Rindsleder; er selbst mit der Schwester auf dem Boden.
Dann hatte es geklopft, und an der Glastür zum Garten konnte er den Schatten eines Riesen sehen. Er war stumm gewesen vor Schreck.
Mutter lief und öffnete die Tür; kein Grußwort, nichts.
Der Riese winkte ihnen, ihm zu folgen, und Papa nahm die Koffer.
In der Hecke hinten im Garten eine Lücke, die vorher nicht dagewesen war. Es verwirrte ihn, und er beeilte sich zu fragen, aber Papa legte ihm schnell die Hand auf den Mund und schüttelte eindringlich den Kopf.
Die Nacht war mondlos, der Lastwagen nur eine verwischte Kontur, und auf der Ladefläche war es stockfinster. Aber er konnte spüren, daß dort noch andere Menschen waren. Er hörte ihren Atem, fühlte ihre Wärme. Seine Schwester umklammerte seine Hand.
Lang war die Fahrt nicht gewesen.
Irgendjemand hob ihn von der Ladefläche, stieß ihn in den Rücken, und er lief los, gebückt, wie es die anderen machten.
In der grauen Dunkelheit ein schwarzes Loch: der Eingang zu den Katakomben. Ein paar Stufen, er fühlte nasse Wände, ließ sich mitziehen um zwei, drei Ecken. Dann ein kleiner Raum; Lehmboden.
Der Riese drückte Papa eine Lampe in die Hand, sagte etwas und verschwand.
Sie hockten sich auf den Boden, lehnten sich an die kalten Wände. Dunkelheit.
Mit der Zeit konnte er die anderen unterscheiden, an ihrem Atemgeräusch, ihren Ausdünstungen; die Frau neben ihm duftete nach Veilchen.
Er pinkelte in die Hose.
Manchmal konnte er die Menschen sehen, kurz nur, wenn einer von ihnen die Lampe anknipste, durch eine Türöffnung verschwand und bald danach zurückkam. Aber er traute sich nicht, in ihre Gesichter zu sehen, kannte nur ihre Schuhe, die Beine, ihr Gepäck. Er hielt den Kopf gesenkt und bewegte sich nicht.
Für eine Welle wurde das
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