Belsazars Ende
gedachtest du denn zu kommen?« wollte sie wissen.
»Es kann höchstens noch eine knappe Stunde dauern., wenn nichts Unerwartetes passiert..«
»Genauso hab’ ich mir das vorgestellt! Da macht man einmal einen Termin! Was machen eigentlich die anderen aus deiner Truppe, Helmut? Was macht zum Beispiel Norbert heute abend?«
Toppe druckste. »Der muß heute babysitten.«
Er konnte gut hören, wie Gabi nach Luft schnappte, und warf schnell ein: »Ich komm’ gleich. Ich mach’s so kurz wie möglich hier, ganz bestimmt.«
Er legte alle Wärme, die er finden konnte, in seine Stimme, aber sie wollte nichts hören.
»Es ist mir egal! Und weißt du was?! Von mir aus kannst du in deinem geliebten Präsidium übernachten. Ich gehe allein weg!«
Jetzt hielt er nicht länger an sich. Es war ihm auf einmal auch völlig egal, daß Astrid dabei war: »Ja, Himmel noch mal, glaubst du denn, ich wär’ nicht auch lieber bei euch zu Hause? Glaubst du denn, ich mache das mit Absicht?!« brüllte er.
Es war einen Augenblick lang vollkommen still.
»Ja«, sagte sie dann leise, aber mit fester Stimme, »ja, manchmal glaube ich das tatsächlich.«
Damit legte sie auf.
Toppe saß mit dem Hörer in der Hand.
»Ärger?« fragte Astrid.
13
Ihr Mitleid wollte er nicht, wohl aber ihre Zärtlichkeit, und es fiel ihm schwer, ihre Hand auf seinem Arm zu ignorieren.
»Dann wollen wir mal sehen, was du alles für Schätze ausgegraben hast«, sagte er viel zu munter.
Sofort zog sie sich zurück, als habe er sie getadelt, griff zu ihrem Papierstapel und breitete einige Blätter vor ihm aus. Sie hatte die Artikel vorsortiert.
Zum einen waren da Berichte über van Veldens Ausstellungen und Vernissagen, über Preisverleihungen. Sie stammten größtenteils aus Rambachs Feder und waren von einer auffallenden Distanzlosigkeit. Dem Autor schien es stets darum zu gehen, seine eigene enge Beziehung zum Künstler zum Ausdruck zu bringen. Den längsten Text hatte er anläßlich der Verleihung des Großen Staatspreises 1989 für die,Holocaust-Plastik’ verfaßt, die vor dem Bundeshaus in Bonn installiert worden war.
Ein halbseitiges Foto der Plastik war mit Rambachs Kommentar versehen: Auf einzigartige, beklemmende Weise bearbeitet van Velden in dieser Plastik sein zentrales Thema: den Menschen. Ähnlich wie bei Henry Moore, der ihn stark beeinflußt hat, wachsen die Figuren aus Formen, die in einem Wechselspiel zwischen plastischer und ausgehöhlter Materie, teils rhythmisch, teils tektonisch gestaltet sind.
Besonders hervorgehoben wurde die Tatsache, daß eine Schülerin aus Kleve, Simona Lünterhoff, für eine der beiden Frauenfiguren der Plastik Modell gestanden hatte.
Astrid kam Toppes Anregung zuvor: »Ich würde diesen Bereich gern übernehmen, wenn du einverstanden bist. Ich denke, ich könnte einen Draht zu den Mädchen kriegen. Simona Lünterhoff weiß bestimmt ein paar Namen von den anderen, die bei diesen,Orgien’ dabei waren.«
»Ja«, sagte Toppe, »übernimm du erst mal diese ganze Geschichte mit den Pornofotos. Und sieh zu, daß du auch mit den Eltern der Mädchen sprichst.«
Er blätterte weiter in den Kopien. Da gab es zahlreiche Fotos, die van Velden bei offiziellen Anlässen zeigten, aber auch bei der Arbeit im Atelier: ein großer, muskulöser Mann mit einer augenscheinlichen Vorliebe für teure englische Kleidung. Das dunkle Haar war so kurzgeschoren, daß die Kopfhaut durchschimmerte und nicht von seinem auffallenden Gesicht ablenken konnte: ein unruhiges Gesicht, in dem die schmale Hakennase in starkem Kontrast zu den breiten, vollen Lippen stand. Die Augen vermittelten einen ernsten, oft verdrossenen Eindruck.
Beim zweiten Stapel, den Astrid ihm gab, ging es um die Restaurierung des Amphitheaters. Toppe blätterte ihn durch.
Die Kaffeemaschine zeigte mit einem lauten Gurgeln an, daß der Kaffee, den Astrid während Toppes Telefonat angesetzt hatte, inzwischen durchgelaufen war.
Astrid stand auf. »Du wolltest doch auch welchen?«
Er nickte nur.
Es hatte einen, wie Toppe fand, eigentlich recht harmlosen Wirbel in der Presse gegeben, als van Velden den Zuschlag für die Restaurierung der Anlage bekommen hatte. Rambachs Name tauchte nicht auf.
Zwei seiner Kollegen brachten in einigen kleinen Artikeln das allgemeine Befremden über diese Entscheidung der Stadt zum Ausdruck. Darüber hinaus gab es ein paar bitterböse Leserbriefe von ortsansässigen Architekten. Die Stadtverwaltung hatte sich, ungewöhnlich
Weitere Kostenlose Bücher