Belsazars Ende
geschickt, zu dem Thema nicht öffentlich geäußert, so daß sich der ganze Wirbel nach vierzehn Tagen gelegt hatte – ein Sturm im Wasserglas. Van Velden selbst hatte keinen Kommentar abgegeben; vermutlich war er gar nicht befragt worden. Ein paar Pläne und Skizzen hatte man abgedruckt: Kleve früher – Kleve heute – Kleve, wie es sein könnte; allgemeiner Tenor: unsere Stadt soll historischer werden.
Astrid stellte den Kaffeebecher neben ihn und beugte sich von hinten über seine Schulter.
Toppe nahm deutlich ihr Parfüm wahr und spürte ihren warmen Atem im Nacken.
»Ich hab’s mir erspart, diese ganze Enteninsel-Diskussion abzulichten. Zum Thema van Velden hätte das sowieso nichts gebracht.«
»Hm«, nickte er. Er verspürte den unwiderstehlichen Drang sich zurückzulehnen und räusperte sich anhaltend.
»Hast du was zu diesem Salmon Rosenberg gefunden?« fragte er, wie er hoffte, sachlich.
Sie ging schnell um den Schreibtisch herum und setzte sich wieder ihm gegenüber.
»Eine ganze Menge sogar.«
Dabei sah sie ihm viel zu lange in die Augen. Den Ausdruck konnte er nicht deuten.
Rund um den zentralen Bericht zur Gedenkfeier der ,Reichskristallnacht’ gruppierten sich Artikel über Rosenbergs Besuch in der Stadt, über Judenpogrome, bekannte jüdische Bürger der Stadt und van Veldens Vater. Rambach schien sich ein paar Wochen intensiv mit dem Themenkreis auseinandergesetzt zu haben.
Die Familie Rosenberg war schon seit 1795 in Kleve ansässig gewesen, berichtete Rambach, und hatte seit 1889 ein großes Kaufhaus auf der Hagschen Straße betrieben. Salmon Rosenbergs Vater Louis hatte das Geschäft 192l übernommen und es gemeinsam mit seiner Frau Hannah geführt. Sie hatten zwei Kinder, Rachel und Salmon.
Nachdem die Boykotte gegen die jüdischen Geschäfte in Kleve sich Mitte der Dreißiger Jahre immer mehr verschärften, hatte Louis Rosenberg die Auswanderung beantragt, deren Genehmigung jedoch verzögert worden war. Am 11.11.38 wurde das gesamte Geschäft verwüstet, die Familie brutal zusammengeschlagen, Louis Rosenberg inhaftiert. Man deportierte ihn nach Dachau, ließ ihn aber überraschenderweise im Januar 1939 schon wieder frei. Kurze Zeit danach gelang der Familie Rosenberg durch die Hilfe Antonius van Veldens die Flucht nach Holland, von wo aus sie dann in die USA auswanderte.
Rambach hatte 1988 mehrere Tage mit Salmon Rosenberg verbracht, an denen sie Wanderungen durch die Stadt unternahmen und über die Vergangenheit redeten. Die Artikel waren lebhaft gezeichnet und von einer erfreulichen Wärme.
Salmon Rosenberg mußte heute sechzig Jahre alt sein. Er lebte als Junggeselle in Chicago, wo er ein gutgehendes Bekleidungsgeschäft besaß. Seine Eltern waren vor einigen Jahren verstorben, und seine Schwester Rachel lebte seit 1950 in Israel. Toppe hatte sich festgelesen.
Der Artikel über die Gedenkfeierlichkeiten ging über vier Spalten. Rambach hatte sich nicht bemüht, die offensichtliche Erbärmlichkeit der ganzen Angelegenheit zu vertuschen. Erst vierzehn Tage vor dem eigentlichen Festakt hatte sich der Parkplatz auf dem Synagogengelände zu einer,Gedenkstätte’ gemausert. Man hatte in aller Hast Rollrasen ausgelegt, eine Plakette angebracht, ein nichtssagendes Schild aufgestellt. Etwa zur selben Zeit war den bedeutenden Herren eingefallen, man könne vielleicht einige Überlebende Juden zur Feier einladen, aber natürlich war die Zeit zu kurz gewesen, jetzt noch herauszufinden, wohin es sie verschlagen hatte.
Die ganze Sache war, wie erwartet, ohne Konzept über die Bühne gegangen. Zur eigentlichen Gedenkstunde hatte man in letzter Minute ein paar friedensbewegten Schülergruppen schulfrei gegeben und sie auf Stadtkosten angekarrt; die Kirchengemeinden hatten ein paar ihrer Sozialpädagogen und Mitarbeitet aus den Jugendheimen entsandt. Insgesamt waren höchstens fünfzig Leute anwesend gewesen, die alle nicht so recht wußten, was man von ihnen erwartete. Die Bevölkerung hatte von all dem nichts mitgekriegt, weil man es erst am Tag vorher geschafft hatte, eine winzige Notiz an die Zeitungen zu geben.
Rambach erwähnte noch kurz die nervliche Anspannung des einzigen jüdischen Gastes der Stadt, die vielleicht einige der Anwesenden befremdet haben mochte, ihm selbst aber einleuchtete. Außerdem beschrieb er das erste Zusammentreffen Rosenbergs und van Veldens und machte seinen recht guten Artikel mit einem schwülstigen Ende kaputt: … sicherlich einer der bewegendsten
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